Freiheit heißt Vielfalt: Das FAVORITEN Festival der freien Szene in NRW

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Die freie Szene in NRW ist vielfältig und progressiv. Eine Auswahl stellt das FAVORITEN Festival in Dortmund zusammen. In unterschiedlichen Sparten wie Performance, Theater, Installation oder Film kommt ein bunter Mix gesellschaftspolitischer Themen auf den Tisch. Beeindruckend vielfältig, aber geschlossen gegen rechts. STROBO checkt für euch ab, was ihr vom 05. bis 15. September auf dem FAVORITEN Festival in Dortmund erleben könnt. 

„Wir können gar nicht so viele Arbeiten zeigen, wie wir gerne würden oder müssten“, erklärt Anne Mahlow, eine der drei künstlerischen Leiterinnen des Festivals. Zusammen mit ihren beiden Kolleginnen sichtete sie drei- bis fünfmal wöchentlich, was die freie Szene der performativen Künste in ganz NRW zu bieten hat. Eine Auswahl zusammenzustellen, die auf dem FAVORITEN Festival gezeigt wird, fiel ihnen spürbar schwer: „Die freie Szene in NRW ist beeindruckend vielfältig.“ Doch viele Künstler*innen und Festivals der freien Szene sind derzeit von Finanzierungskürzungen betroffen. So auch das FAVORITEN Festival, wodurch sich die Auswahl zur vorherigen Ausgabe 2022 deutlich verkleinert. Dennoch versammelt das Festival Anfang September ein abwechslungsreiches und sehenswertes Programm an verschiedenen Spielstädten in Dortmund. Neben dem Dortmunder Depot werden auch das Vereinsheim einer Kleingartenanlage oder ein Fußballplatz zu Spielorten.

(Un)Learning for possible futures: Verlernen als kollektive Praxis 

Das FAVORITEN ist bundesweit eines der ältesten Festivals der freien darstellenden Szene. Unter dem Festivalmotto (Un)Learning for possible futures setzt sich das FAV in dem kondensierten Zeitraum von zehn Tagen mit dem Thema des Verlernens von gesellschaftlichen Gewohnheiten auseinander. Verlernen heißt dabei auch, hinter die Machtstrukturen zu blicken, die dafür sorgen, dass wir uns bestehendes Wissen überhaupt aneignen (oder auch nicht). Was lerne ich aus welchen Gründen von wem? Und was von dem, was man lernt, ist überhaupt gerecht? Die kritische Frage, welche geteilten Normen und Werte gerecht sind und was es zu verlernen gilt, lässt nicht nur dekoloniale oder feministische Rückschlüsse zu, sondern ist ganz alltäglich an der Supermarktkasse zu beantworten. 

Das Theaterstück „Daughters of the Future“ wird in Dortmund aufgeführt. Foto: Melanie Zanin.

Dortmunder Residenzen: Kunstschaffen über Ländergrenzen hinweg  

Den Wochenendauftakt des Programms macht das Projekt der internationalen Residenzen. In vier Tandems haben jeweils Künstler*innen aus NRW und einem anderen Land gemeinsam ein Projekt realisiert. Auf diese Weise sind eine Fotoausstellung, die Performance Knock-Knock-Knock zum Thema Gastfreundschaft und Migration, die Performance SANCTUARY OF LOVE zur radikalen Empathie und das Theaterstück INTERDEPENDENCE (AT) zur Polizeigewalt in Chile 2019 entstanden. Die Arbeiten der internationalen Residenzen werden am ersten Festivalwochenende zu sehen sein. 

Ein weiteres Programmhighlight dürfte die Lecture Performance Hacker auf Estradiol sein. Die Performance verbindet Transidentitäten mit dem Thema Hacken und begibt sich damit auf die Spuren der Randbereiche der Medien- und Technologiegeschichte. Im Anschluss an die Performance kommt Jako Wende — eine Trans-Aktivist*in mit Forschungsschwerpunkt zu mit Trans- und Inter*personen im Nationalsozialismus — ins Gespräch mit der vorherigen Performance. Jako Wende erinnert an die bewegende Geschichte von Adele Haas, eine inter*Person, die im Nationalsozialismus massive Gewalt erfahren hat.

Nicht zuletzt ist auf die digitale Festivalmediathek zu verweisen. Ein vielfältiges Programm aus Filmen, Hörspielen und Interviews werden dort über den Zeitraum des Festivals kostenfrei zu finden sein.

Gemeinsam in Aktion treten

„Die Frage, wie man sich für die Stärkung unserer Demokratie und für eine vielfältige Gesellschaft einsetzen kann, ist uns ein großes Anliegen und findet sich in vielen Programmpunkten wieder. Das Festival will hierfür Räume zur gemeinsamen Auseinandersetzung schaffen“, erklärt Anne. Neben den klassischen Ausstellungs-, Performance und Theaterformaten bietet das FAV auch Workshops wie Argumentieren gegen rechts oder zu diskriminierungssensibler Sprache an. Ob im gemeinsamen Diskurs oder beim gemeinsamen Fußballspielen: „Die Besucher*innen sind eingeladen, das Festival als Ort des Austauschs und Ausprobierens zu erkunden und gemeinsam mit uns in Aktion zu treten.“ 

Auf dem Fußballplatz wird das FAV seinen Festivalabschluss am 15. September austragen. „Wir haben Lust, Fußball, Kunst und Aktivismus zusammen zu denken“, erklärt Anne. Parallele Welten, die normalerweise nicht gerade zusammen gedacht werden. Ein Highlight auf dem Platz dürfte die Performance Deutschland. Ein Labermärchen von Caroline Kapp und Julia Nitschke sein. In ihrer Performance untersuchen die beiden, wie 2006 der Nationalstolz durch die WM im eigenen Land wieder massentauglich wurde. Die Arbeit geht zurück auf die Reise, die beide im WM-Zeitraum durch das schwarz-rot-goldene Bundesgebiet unternommen haben. Ihre Performance stellt die patriotische Masseneuphorie vor eine Zäsur, die an das dunkle Kapitel der deutschen Nazi-Vergangenheit erinnert. 

Performance Deutschland. Ein Labermärchen von Caroline Kapp und Julia Nitschke. Foto: Toni Petraschk.

Das FAVORITEN Festival – eine Stimme für die freie Szene! 

Auf das Festival darf man also gespannt sein. Eine wichtige Message ist aber jetzt schon klar: die Vielfalt und der kritische Geist der freien Szene in NRW sind dringend unterstützenswert! Die finanziellen Lebensbedingungen der Künstler*innen, die nicht an Institutionen gebunden sind, werden durch die Kürzungen des Bundes – die ganz besonders die freie Kulturszene betreffen – zunehmend prekär. Das wertvolle demokratische Organ der freien und nicht-institutionalisierten Kunst ist durch die fehlenden Produktionsgelder gefährdet. Unterstützt die freie Szene. Checkt das FAVORITEN Festival 2024 ab, hier geht es zur Homepage.

Bock auf mehr STROBO? Lest hier: Warum die Ausstellung „Landscapes of an Ongoing Past” einen Besuch wert ist.

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