Der Healing Complex von Urbane Künste Ruhr fand Anfang Juni seinen Abschluss in Gelsenkirchen. Kunstinstallationen von Camilo Pachón und ein Videoprojekt von Anne Arndt bildeten den Rahmen des Abschlussevents. STROBO-Autorin Anastasia war vor Ort und hat herausgefunden, wie das Team einen Raum der Begegnung und Auseinandersetzung geschaffen hat.
Im Juni 2022 öffnete Urbane Künste Ruhr die Türen der ehemaligen St. Bonifatiuskirche in Gelsenkirchen mit dem drei-Phasen Projekt Healing Complex . Nun kam es mit der dritten Phase zum Abschluss. Initiiert wurde das Projekt damals von der Künstlerin Irena Haiduk, mit Fokus auf Gemeinschaftsrituale und kollaborative Praktiken. Den Abschluss am 6. Juni machten Anne Arndt und Camilo Pachón als Residenzkünstler*innen im Takeover.
Die Kirche in der Crangerstraße ist zu erst erst an dem Wort „healing“ zu erkennen, welches in Leuchtschrift über dem Eingang Platz findet. In der entweihten Kirche befinden sich kleine Tempel von Camilo Pachón und Notizen einer Stadtführung mit Anne Arndt. Gleichzeitig wird inmitten eines sechseckigen Holzpodiums Musik aufgelegt – eine Diskokugel hängt ganz oben mittig im Raum. Auf Tischen findet sich eine Auswahl an Literatur. Aus den Titeln ergibt sich ein roter Faden: Es geht um Spuren, das Begehen von Orten, Traditionen und Philosophien des Räumlichen.
Zwischen Tempeln und Spaziergängen – Das Programm im Healing Complex
Der Abend wird eingeleitet mit einer Videoarbeit von Anne Arndt. Ein GoPro-POV-Spaziergang durch Gelsenkirchen-Erle. Dazu Stimmen aus dem Off, die erzählen, was einst an Stelle eines Spielplatzes war oder was eine Hausbesetzung für die Wohnsiedlung getan hat. Eine dieser Off-Stimmen ist heute auch Teil des Publikums. Sie berichtet im Video von den Protesten. Der Gemeinschaftsgarten dort sei damals der Ort gewesen, an dem die Frauen zum Austausch zusammengekommen sind, auch um sich gegen den geplanten Abriss der Wohnsiedlung stark zu machen. „Es braucht wieder mehr solcher Gemeinschaftsräume”, erzählt sie.
Neben der Videoarbeit von Arndt füllt der kolumbianische Künstler Camilo Pachón einen weiteren Teil der Abschlussveranstaltung aus. Im Gespräch erzählt er von seinen kleinen Tempeln und den dazugehörigen fotografischen Arbeiten: „Am Karneval fasziniert mich vor allem diese tradierte Spiritualität des festlichen Brauchs und die transkulturellen Artefakte, die sich in der Bekleidung und Maskierung finden.”
Im Zuge dessen baut Camilo die Brücke zwischen zwei Bildwelten: ausgehend aus seinen eigenen fotografischen Arbeiten zu Karnevalsmasken lässt er eine künstliche Intelligenz an diesem Brauch teilhaben und generiert KI Bilder. Er sehe sich selbst als einen Schamanen, der zwischen diesen Welten vermittelt. Dabei bezieht er sich auf Pilze, die auch in der zweiten Phase des Healing Complex Thema waren. Mit Wertschätzung und Wiederverwertung müsste man nicht nur an die eigene Arbeit oder an Bestandteile eines Ökosystems rangehen, sondern auch an Orte, die sich im Wandel befinden.
Im Talk über den „Palliative Turn“
Im Panel Talk thematisieren Kasia Fudakowski, Benjamin Melzer und Nada Schroer Ideen, die dem Healing Complex zugrunde liegen. Darunter ein Beitrag von Kasia Fudakowski zum Palliative Turn. Eine Vereinigung von „artists, thinkers, comedians and palliative experts“. Basierend auf Sterbehilfe-Programmen, die durch die Akzeptanz des Zustands begleitend und nicht kurativ vorgehen, blickt die Association for the Palliative Turn mit einem Bewusstsein und einer Akzeptanz des Endlichen auf Kunst und Kultur. Die Antwort läge nicht darin, Unsterblichkeit nachzueifern, sondern sich dem Prozess des Wandels als natürliche Gegebenbenheit zu widmen.
In Hinblick auf den Healing Complex greift Nada Schroer diesen Gedanken auf. Denn auch in der Trauerverarbeitung brauche es den Raum, diese Trauer zu erfahren, ohne die Lücke sofort wieder zu füllen. Der Raum greift diese Akzeptanz des Zwischenzustands auf und arbeitet dagegen, die Vergangenheit abdecken und vergessen zu wollen.
Der Healing Complex: Ein Raum der Begegnung
Mit der entweihten St. Bonifatiuskirche, die zwischenzeitlich zum Ort der Begegnung, des Austauschs und eines gemeinschaftlichen Schaffens wird, erlebt auch Gelsenkirchen-Erle eine Auseinandersetzung mit der Offenheit, die ein Ort im Wandel bedeutet. Der Wunsch nach Zuschreibung einer bestimmten Funktion, eines festen Rituals, ist die Suche nach bekannten räumlichen Skripten. Aber so wie Benjamin Melzer über die Entstehung der WerkStadt erzählt, versteht man auch diesen unabhängigen Begegnungsort des PACT Zollvereins als weiteren Wunsch nach Räumen ohne Skript.
Ähnlich den Tempeln von Camilo Pachón, sind genau diese nämlich auf ihre Art sakrale Orte, die sich der eigenen Handlungsmöglichkeit widmen. Im Gespräch über das Heilen ist der Moment des Schweigens der Raum, in dem das Zuhören stattfinden kann. Diese Räume zu schaffen und diese Zeit weilen zu lassen ist ein maßgeblicher Bestandteil des Healing Complex.
Urbane Künste Ruhr hat etwas verwirklicht, nach dem sich die Menschen sehnen – einen Raum sich zu begegnen. Auch an diesem Abend, zum Abschluss des Healing Complex, trifft das zu.
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