(K)eine wahre Geschichte – Rezension von Timon Karl Kaleytas Debütroman

Mein Bild

Timon Karl Kaleyta war bislang für seine Musik mit der Elektropop-Band Susanne Blech bekannt. Nun hat der gebürtige Bochumer seinen ersten Roman „Die Geschichte eines einfachen Mannes“ veröffentlicht und schickt seine Lesenden damit auf eine Spurensuche zwischen Realität und Fiktion. Eine Rezension.

Timons Debütroman erzählt die Geschichte eines namenlosen Ich-Erzählers, der durch Zufall zur Musik kommt und dann fest davon überzeugt ist, berühmt zu werden. Er wächst in Bochum auf, besucht die Ruhr-Universität und fängt irgendwann damit an, Musik zu machen – mit seinem besten Freund, dem Zahnarzt-Sohn Sebastian aus Herne. Sie starten eine Band, spielen Konzerte und stehen vor dem großen Plattenvertrag. 

Strobo:Inside

„Die Geschichte eines einfachen Mannes“ von Timon Karl Kaleyta erscheint in zweiter Auflage beim Piper Verlag und erhielt bereits den Literaturpreis der Stadt Fulda als bedeutendstes Romandebüt des Jahres. Timon ist außerdem Drehbuchautor bei jerks, Kolumnist bei der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung und Sänger der Band Susanne Blech.

“Die Geschichte des einfachen Mannes” spielt mit autobiografischen Elementen

Die Geschichte des namenlosen Ich-Erzählers weist einige Parallelen zur Lebensgeschichte des Autors auf: Timon Karl Kaleyta ist aufgewachsen in Bochum Langendreer, studierte an der Ruhr-Universität und begann sein Bandprojekt Susanne Blech mit seinem besten Freund Sebastian, dessen Vater tatsächlich Zahnarzt ist. Sogar einen Traum über die Beobachtung eines Flugzeugabsturzes, den die Hauptfigur ausgiebig schildert, erwähnt Timon 2014 in einem Interview genau identisch.

Es wird also schnell deutlich: Die Geschichte des namenlosen Ich-Erzählers ist irgendwie auch Timons Geschichte. Timon erwähnt Stationen und Geschehnisse seines Lebens und seiner Bandkarriere, erhebt jedoch keinerlei Anspruch auf vollständige Richtigkeit: „So Kategorien wie Wahrheit haben mich nie interessiert.“ Eine schöne Abwechslung in einer Zeit, in der jede Netflix-Serie zutiefst beteuert auf wahren Gegebenheiten zu beruhen. 

Das Spiel mit den autobiografischen Elementen macht das Lesen des Romans gleichzeitig anstrengend wie interessant. Denn natürlich stellt sich die:der Lesende ständig die Frage: Ist das Timon jetzt wirklich passiert? Doch im Gegensatz zu den Netflix-Serien, die den Zuschauenden stets davon überzeugen wollen, dass angeblich „Wahre“ in der Fiktion zu sehen, verschwimmen die Grenzen in „Die Geschichte eines einfachen Mannes“ ständig. So trägt der Ich-Erzähler einige seiner Liedtexte vor, die identisch mit den Texten von Timons realer Band Susanne Blech sind, die Liedtitel werden dabei aber verändert. Aus Susanne Blechs Lied „Die Maschinen laufen heiß“ wird im Roman der Song „Schweden“.

Debütroman von Timon Karl Kaleyta: Zwischen Selbstbetrug und Selbstdarstellung

Timons Roman ist geprägt von Ambivalenz. Ständig fragt man sich, ob man wirklich das Gefühl des Erzählers, gar Timons Gefühl oder doch nur blanke Ironie liest. Und so bewundert und verachtet man den Hauptcharakter gleichsam. Einerseits ist er ein interessanter Zeitgenosse, den man für deine guten Leistungen auf verschiedenen Gebieten positiv beurteilt.

Timon Karl Kaleyta Portrait
Foto: Jan Philipp Welchering.

Andererseits resultiert gleichzeitig aus seinen Leistungen und dem Selbstbild eine ungebremste Arroganz, die sich vor allem auf seine Interaktionen mit Personen seines  Umfeldes ausweitet. Im einen Moment wäre man gerne Teil seines Freundeskreises, würde sich von seinen interessanten Gedankengängen mitnehmen lassen. Im anderen Moment wünscht man ihm einfach nur den Rauswurf aus allen freundschaftlichen WhatsApp-Gruppen und eine ewig anhaltende Einsamkeit.

Der Hauptcharakter lügt sich in einer Tour seine eigene Welt schön. Alles, was ihm widerfährt, all seine Einstellungen sind am Ende immer wundervoll – auch bei kurzen Momenten des Zweifelns. 

Es ist heilsam, keine Eindeutigkeiten im Roman vorfinden zu können, sodass der:die Lesende sich stetig dabei erwischt, die von dem Ich-Erzähler aufgebrachten Gedanken und Fragen selbst zu reflektieren: Machen zu viele Menschen Abitur? Sind Bourdieus „Die feinen Unterschiede totaler Mumpitz? Und sollte man anfangen zu rauchen? „Die Geschichte eines einfachen Mannes ist vielleicht Timons Geschichte. Sie ist vielleicht aber auch nur die Geschichte von irgendwem. Sie ist sicher nicht die spannendste Geschichte aller Zeiten. Sie ist eine Geschichte, die einfach zu lesen ist, eine Geschichte über Erfolg, Neid, Selbstbetrug und Selbstdarstellung. Sie ist eben die Geschichte eines einfachen Mannes.

Bock auf mehr STROBO? Lest hier: Poetry-Slammer Kolja Fach über das Ruhrgebiet und Stress mit Attila Hildmann

Mein Bild
Mein Bild