Josefine und Marlon haben im März das Künstler:innenkollektiv DJO und BO gegründet. Mit ihrer Kunst möchten sie ihre Beziehung in Performances aufgreifen. Bei ihrer Arbeit beschäftigen sie sich mit dem Künstler:innenklischee Tränen, Sex und Alkohol als Metapher ihres Schaffens.
Erst wenige Monate ist es her, dass Josefine Henning und Marlon Bösherz ein Künstler:inkollektiv gründen. Josefine und Marlon, das Paar. An einem Freitagabend im Juli sitzen sie nebeneinander im leeren und für alle anderen offenen Atelier. Vertieft in den Text vor ihnen. Ein Text aus Worten, die zur Krisenbewältigung verfasst wurden – zum Begreifen. Die Weitläufigkeit des Ateliers lässt die festen Stimmen tief bis zwischen die Fugen der weißen Backsteinwand gleiten.
Eine Yogamatte hinten rechts erinnert an ein Bett. Neben ihr ein Bialetti-Kaffeekocher, zwei Weingläser. Ein hellblaues Bettlacken hängt an der Wand. Ein Viertel Rosé in der Glasflasche und abwechselnd ihre und seine Stimme, während sich ihre Blicke an den mit einer Schreibmaschine bedruckten Leinwandstoff halten. „Wie können wir wegsehen, während wir hinschauen in der Betrachtung unserer Hände das Außen verloren?“, fragt er jede Silbe betonend in das stille Atelier, das jede Silbe zurückschickt.
Diesen Text lesen Josefine Henning und Marlon Bösherz zum ersten Mal für fremde Ohren. Die Stille, die darauf folgt, ist so schwer, wie die Worte zuvor. „Ein Punctum“, wie Josefine Henning diese Augenblicke voller Aufrichtigkeit nennt. „Dieses Moment, das Punctum, ist das, wonach ich in meiner Kunst suche“, erzählt die Künstlerin. Josefine Henning arbeitet in der Regel aus ihrem Atelier in Bremen. Neben der Liebe zu Marlon, ihrem Partner, mit dem sie gemeinsam das Kollektiv „DJO und BO“ gegründet hat, zieht sie jedoch noch etwas anderes regelmäßig ins Ruhrgebiet: „Die Kulturszene hier ist anders als in Bremen. Dort musste ich sehr darum kämpfen, mit meiner figürlichen Malerei gesehen zu werden und hier existieren mehrere Positionen gleichzeitig. Die Kunst ist diverser.“
Djo arbeitet bildnerisch, sie zeichnet und fertigt Linoldrucke an, außerdem schreibt sie. „Meine Werke entstehen auch aus Gesprächen und aus gemeinschaftlichen Gedanken mit Marlon. Eine Fotografie ist meistens der Startpunkt“, erzählt die Künstlerin.
Diese gemeinschaftlichen Gedanken, der Austausch und geteilte Erlebnisse tragen auch die Kunst von Marlon. „Es ist wie bei Kindern, die alle Spielsachen, die sie besitzen, heran tragen und in ein Zimmer werfen, um daraus etwas Neues zu schaffen“, erzählt er. Das, was für Djo die Fotografie ist, findet Marlon in dem Schreiben von Gedichten. „Das Beste, was mir passieren konnte, ist, dass jemand den Begriff des Künstlers erfunden hat“, erklärt er. Marlon steht außerdem regelmäßig mit der Band „Botticelli Baby“ auf der Bühne. Hinter dem Künstler:innendasein finde er Schutz, wenn er mit der Welt nicht klarkommt. Zusätzlich sei die Kunst für ihn eine Form der Kommunikation mit dem Außen und Innen.
Zuschauer:innen als Voyeure
Beim Asphaltfestival in Düsseldorf arbeiten Djo und Marlon in dem offenen Atelier mit den weißen Wänden. „Wir laden Menschen ein, zu Voyeuren zu werden“, beschreibt Marlon die Idee hinter der Performance. Dabei spielen die Beiden bewusst mit dem Gefühl der Grenzüberschreitung. „Wir haben eine Performance gemacht, bei der wir uns gegenseitig rhythmisch tätowiert haben“, erzählt Marlon und fährt fort: „Dieser Anblick war für manche Besucher:innen befremdlich, sie entschuldigten sich, gestört zu haben und verließen das Atelier.“ Diese ehrliche Reaktion schätzen die Künstler:innen.
Als sie sich kennenlernten, arbeitete Djo bei einem Festival an der Bar und Marlon trat mit Botticelli Baby auf. „Als ich Bier nachholen wollte, begegneten wir uns“, erinnert sich Djo. Danach teilten sich die beiden einen Espresso und unterhielten sich. „Wir planen, den geteilten Espresso als Performance darzustellen“, erzählt Marlon. Auf den Espresso folgten zweieinhalb Jahre des Brief- und SMS-Verkehrs. „Nach drei Monaten hatten wir schon 130 Seiten mit Schriftgröße 8 gefüllt“, erzählt Djo. Diesen Schriftverkehr möchte das Paar auch später in Performances aufgreifen.
Das Private in der Kunst: Tränen, Sex und Alkohol
Das Wiedersehen im Januar 2022 in Essen empfanden beide, wie einen Rausch – begleitet von Tränen, Sex und Alkohol. In diesem Rausch gründeten sie auch das Kollektiv. Auf ihrer Website greifen sie die Tränen, den Sex und Alkohol als ironische Hommage an das Künstler:innendasein auf.
Fragt man die beiden nach gemeinsamen Meilensteinen, antworten Djo und Marlon, dass sie besonders stolz auf die schnelle Realisierung des Kollektivs sind. „Wir möchten statt Schmerz, die zwischenmenschliche Zärtlichkeit zeigen“, betont Djo und Marlon ergänzt: „Dafür planen wir auch eine Kussperformance.“
Bewusst spielen die Künstler:innen damit, das Private zur Kunst zu machen, die Kunst in ihre Beziehung zu holen und traditionelle Rollenbilder umzudrehen. „Ich möchte das, was sichtbar, aber nicht offensichtlich ist, mit meiner Kunst aufgreifen“, erzählt Marlon, der davon träumt, einmal für eine Zeit als performativen Akt in einem Museum zu leben. Daran reizt ihn die Irritation der Museumsgäste, die eine Performance erwarten und sich stattdessen mit dem „Gewöhnlichen“ konfrontiert sehen.
Die Ursprungsidee von DJO und BO war es, ein Magazin zu schaffen, das neue Positionen aufgreift. „Zunächst möchten wir aber bestimmen, was das Kollektiv für uns bedeutet und welche Rolle wir dabei spielen“, betont Marlon. Marlon und Djo möchten den internationalen Austausch in der Kunstwelt anregen und mit anderen Künstler:innenkollektiven zusammen arbeiten. „Ab dem 20. September werden wir in Kassel gemeinsam mit dem Kollektiv Sekante arbeiten. Es wird eine Gemeinschaftsausstellung in der alten Färberei geben“, erzählt Djo. Wer DJO und BO weiterverfolgen möchte, findet das Kollektiv auf ihrer Website und über Instagram unter @josefine_henning und @marlonboesherz.
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