Respublika bei der Ruhrtriennale: Wie die Fusion – aber 6 Monate im Loop

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Angekündigt als die Produktion für das jüngere Publikum, startete in der Jahrhunderthalle Bochum am Freitag das Schauspiel Respublika des polnischen Regisseurs Łukasz Twarkowski. Mit Stroboskoplicht, Techno und Rausch sprengt es die Strukturen von Theater. Weitere Aufführungen finden noch am 15., 16. und 17.9. statt.

Stellt euch vor, ihr kündigt euren Job und eure warme Wohnung, um mit einer kleinen Gruppe in die endlosen Wälder Litauens zu ziehen. Geld spielt keine Rolle mehr. Es gibt keine Verpflichtungen, die schier endlose Freiheit liegt euch zu Füßen. Was nach einem Hippie-Aussteiger-Traum klingt, wird in Respublika zu einem menschlichen Experiment.

So wird im vorab verteilten, ausführlichen Instruktionszettel von einer neuen Realität gesprochen, die das breitgefächerte Publikum am Freitag betreten sollte. Die neue Realität: Eine Halle mit Räumen, zwischen denen die Schauspieler:innen wechseln und die auch das Publikum frei betreten kann. Da wären eine Küche, Schlafzimmer, Wohnzimmer, eine Sauna und ein Rave-Schuppen, die diesem 6-Monate langen, tatsächlich stattgefundenen Experiment nachempfunden waren. 

Die Besucher:innen können sich im Raum frei bewegen – jede Person  kann eine eigene Version des Stückes erleben, was die völlige Auflösung der sonst bekannten Aufteilung Publikum als Beobachter:innen aus der Ferne und Schauspieler:innen als Akteur:innen bedeutet.

„Verwirrend“ mögen sich viele nun denken und in der Tat wurde das Publikum erst einmal eine halbe Stunde ratlos zurückgelassen – Zeit, die sich als Eingewöhnungszeit herausstellte, um sich mit der neuen Realität vertraut zu machen. Erst als die beiden LED-Wände das erste Bild ausstrahlten, der wummernde Bass und die 4/4 Bassdrum eines Techno-Tracks lauter wurden, bekamen die Zuschauer:innen eine Ahnung davon, wie Respublika als Schauspiel funktioniert.

Respublika auf der Ruhrtriennale 2022: Bildschirme und Live-Theater

Alle Szenen wurden gefilmt und live auf den Bildschirmen gezeigt. So konnte das Publikum – jede Person für sich selbst – minütlich neu entscheiden: Will ich mir ein Schauspiel aus nächster Nähe oder einen live aufgenommenen Film anschauen? Das führte dazu, dass man den Bildschirm in den Fokus nahm, während im Rücken das, was man sah, aufgenommen wurde. Einen Vergleich kann man für diese Szenerie am ehesten mit Childish Gambinos Musikvideo zu „This Is America“ ziehen – nur, dass das Publikum live Teil des Stückes ist. Das Musikvideo ist eine One-Take-Aufnahme.

Dies führt uns nun endlich zur Handlung von Respublika, einer Gemeinschaft bestehend aus Menschen, die früher einmal studierten oder für diese menschliche Utopie ihre Kinder zurücklassen. Ihre Beweggründe sind unterschiedlich. Ihre Welt besteht nun aus heruntergekommenen Bungalows im Nirgendwo. Doch schnell wird die menschliche Verwahrlosung deutlich – das, was passiert, wenn ein Mensch jederzeit die Möglichkeit zum Rausch hat, jeden Abend sich zum harten Techno-Sound in Ekstase tanzen kann. Die Zuschauer:innen sehen nun live dabei zu, wie sich die Persönlichkeiten – manche jünger, manche älter – zu Überresten von dem entwickeln, was sie im normalen Leben vielleicht ausmachte. So wie die lebenden Leichen am Sonntagmorgen auf der Fusion, nur immer wieder und immer ein Stückchen mehr.

Respublika: Liebe, Trauer, komplette Gleichgültigkeit

Der hier im Fokus stehende Rausch fördert dabei mit der Zeit Gefühle in der höchstmöglichen Intensität zutage: Liebe, Trauer, komplette Gleichgültigkeit und vor allem Wut, die von dem mehrsprachigen Ensemble so gespielt werden, als wären sie in dem Moment wirklich wieder im Nichts.

Bis auf einen Moment der Versöhnung entfaltet sich dabei eine äußerst düstere Stimmung, die durch die elektronische Musik eindrucksvoll untermalt wird. Bezeichnend dafür ist der Satz: „Die Leute tanzen und chillen. Doch innerlich werden sie von Schmerz geplagt.“ Durch das hautnahe Miterleben können die Zuschauer:innen gar nicht anders, als sich selbst in diese Ausnahme-Situation hineinzudenken.

Ein Schauspiel, eine Performance, ein Rave – was immer Respublika war und ist, sieht man nicht alle Tage. Die Auseinandersetzung mit dem Menschen, wenn er keine Verpflichtungen hat, ist zwar nicht neu, wird aber einerseits inhaltlich durch die dramatischen, sich selbst verlierenden Charaktere und andererseits durch den außergewöhnlichen Mix aus Live-Film und Schauspiel beeindruckend dargestellt.

Das Licht und die Techno-Musik, die vor allem in den Breaks bestimmend sind und immer weiter in den Mittelpunkt rücken, tragen darüber hinaus zu einer einzigartigen Inszenierung bei. Und wem das Ganze etwas zu viel, zu drüber, zu verwirrend ist, der kann sich immer noch in eine der Hängematten legen, sich unterhalten und schlussendlich in einer einmaligen Kulisse tanzen gehen. Die Ruhrtriennale beweist mit Respublika Mut, sich eben nicht nur an das Hochkultur verwöhnte Publikum richten zu wollen. Der Eintrittspreis in Höhe von 33€ (16,50€ für Studierende) ist jeden Cent wert.

Bock auf mehr Strobo? Lest hier: Was ihr auf der Ruhrtriennale 2022 nicht verpassen dürft

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