„Flowers Ausstellung im Dortmunder U – Impressionen eines Rundgangs durch die Blumenkunst der Moderne und Postmoderne“

Bis Ende September zeigt das Dortmunder U eine besonders blumige Ausstellung. „Flowers“ beschäftigt sich mit der Darstellung von Blumen im 20. und 21. Jahrhundert. Dabei geht der Rundgang sowohl auf klassische Motive der Moderne ein als auch auf die Produktionsbedingungen der heutigen Zeit.

Die verschachtelten Blätter einer Rosenblüte stimmen uns romantisch. Die zierlichen Maiglöckchen erwecken in uns Frühlingsgefühle. Gänseblümchen wirken besonders zart, Sonnenblumen eher robust. Blumen sind in ihrer Symbolkraft so vielfältig wie ihr Vorkommen in der Natur. Auch in der bildenden Kunst ist die Blume seit der Barock-Zeit als eigenständiges Motiv, das Blumenstillleben, vorzufinden. Das Motiv nahm im Laufe der Jahrhunderte viele Formen und Farben an, in Werken, die unterschiedlicher kaum sein könnten. 

Dies gilt vor allem für die Epochen der Klassischen Moderne und Postmoderne. Das Spektrum reicht von expressionistischen Werken über eine Fortsetzung der Naturstudien-Malerei des 17. Jahrhunderts, bis hin zu einer Politisierung des Motivs. Wer sich einen Überblick darüber verschaffen möchte, wie die ästhetischen Gewächse in der Kunst des 20. und 21. Jahrhunderts vorkommen, dem bietet sich ein Besuch im Dortmunder U an. Dort ist diesen Sommer die „Flowers“ Ausstellung beheimatet. Besucher:innen werden auf einen Rundgang eingeladen, der den Horizont des eigenen Blumen-Kosmos erweitert. Sortiert sind die rund 180 Kunstwerke dabei nicht nach Chronologie, vielmehr geht es um thematische Zusammenhänge. Ausgestellt sind neben Malerei auch Fotografien, Videografien und Installationen.

Das Innere nach Außen kehren

Den Anfang des Rundgangs machen expressionistische Werke. Die natürliche Form und Farbe der Blumen verlieren hier an Bedeutung. So entsteht Platz für das vermeintlich Wesentliche – Platz, um das Innere nach außen zu kehren. Das bunte, unnatürliche, verbindet die ausgestellten Werke. Während die eine Blüte in hellen Farben nach dem puren Leben schreit, ist die nächste dunkel und leblos. Die expressionistischen Werke stellen ein Spektrum an Emotionen dar, das von Heiterkeit bis Trauerlähmung reicht. Besonders die verwelkten Blumen fallen durch eine gewisse Schwermütigkeit auf, die im nächsten Raum aufgegriffen wird.

Die Vergänglichkeit von Leben

Absterbende Pflanzen sind seit langer Zeit ein klassisches Symbol des Memento Mori Motivs und mit genau diesem setzt sich der Rundgang fort. Memento Mori Werke setzen sich mit der Vergänglichkeit von Leben auseinander. Die Installation „Tears of a Swan“ von Quynh Dong zeigt, dass Memento Mori und das zeitlose Thema dahinter nicht an Aktualität verloren hat. Verwelkte Rosenblätter streuen auf dem Boden und überziehen die weiße Landschaft mit Tränen. Im Allgemeinen schwingt eine gewisse Schwere mit, wenn man den Raum entlangwandert und die Werke auf sich wirken lässt. 

Analytische Betrachtung, verbunden mit Zeitgeist

Aus der düsteren Gefühlswolke schweben Besucher:innen ins Botanische Studienzimmer. Wo vorher Entfremdung und Neuinterpretation maßgeblich die Werke ausmachten, steht nun Detailgetreue im Fokus. Wo es vorher darum ging, Gefühle zum Ausdruck zu bringen, geht es nun um eine nüchterne, möglichst exakte Abbildung von Blumen. Eindrücklich beweisen die Malereien von Anita Albus, dass die Schönheit im Detail liegen kann. 

Angelehnt an das 17. Jahrhundert und Werke der einflussreichen Künstlerin und Naturwissenschaftlerin Maria Sybilla Merian hängen Bilder an der Wand, die Blumen auf Papier zeigen. Fotografien von Felix Dobbert verbinden darüber hinaus die traditionellen Naturstudien mit dem aktuellen Zeitgeist, durch die Thematisierung von Künstlicher Intelligenz.

Kunst und Künstlichkeit im Alltag

Mit grellen Farben und Plastik geht es in den nächsten Raum. Anhand von künstlichen Blumen und Pop-Art wird der Frage des Zusammenhangs zwischen Kunst und Alltag nachgegangen. Die aufgehängten Plastikblumen von Hans-Peter Feldmann sind der Inbegriff von Kitsch und stechen einem sofort ins Auge. Die unnatürlich-groß abfotografierten Blumen vor einfarbigem Hintergrund hingegen konzentrieren sich auf das Ästhetische der Blüten und wirken trotz oder gerade wegen ihres künstlichen Settings anschaulich. Ebenfalls wichtig zu erwähnen sind hier die Pop-Art Blumen von Andy Warhol aus den Sechzigern. Auch diese, von ihrer natürlichen Form durch vereinfachte Auflösung und Farbwahl entfremdeten Blüten, finden in der Ausstellung Platz.

Politischer, gesellschaftlicher Ausdruck

An die Frage nach dem Zusammenhang von Natur und Künstlichkeit reiht sich im nächsten Raum gleich ein Stau an Themen. Auf gesellschaftlicher Teilhabe soll im Folgenden der Fokus liegen und so werden Themen, von Feminismus bis Wirtschaft, aufgegriffen. Besonders auffällig wirkt die modellhafte Anordnung von zahlreichen Glasrosen auf Metallstäben, die viel Platz im Raum beanspruchen. Aus jeder filigranen Blüte ragt eine Klinge. 

So verbindet die Künstlerin Renate Bertlmann in ihrem Modell „Discordo Ergo Sum“ vermeintliche Widersprüche. Männliche und weibliche Stereotype, Zärtlichkeit und Aggression, einen sich in den Glaskörpern. Die Blumenmalerei ist in der Kunstgeschichte eng mit Sexismus verwoben. So galt das Malen von Blumen zum Beispiel im 19. Jahrhundert als Frauenangelegenheit und wurde von den männlichen Künstlern abgewertet. Dass Blumen darüber hinaus mit dem weiblichen Geschlecht assoziiert und mit Attributen wie Zärtlichkeit verknüpft werden, ist gesellschaftlicher Konsens. Umso wichtiger scheint die Umdeutung, die weibliche Künstlerinnen vornehmen, wenn sie das Motiv für sich und ihren feministischen Kampf beanspruchen.

Zwischen Zerstörung und Neubeginn

An Themen, die die Gesellschaft bewegen, knüpft der Rundgang weiter an. Die Massenproduktion von Blumen ist eines davon. Entzaubernd müssen Besucher:innen hier feststellen, dass der Blumenstrauß auf dem hauseigenen Küchentisch vermutlich weniger mit Natur zu tun hat, als sie denken. Fotografien, Videoaufnahmen und Wandmalerei zeigen auf, dass Blumen auf plantageartigen Feldern in Massen abgefertigt werden, oftmals unter schlechten Arbeitsbedingungen und enormem Wasserverbrauch. Konsumkritik ist ein hier mitschwingendes Stichwort, dass Künstler Marc Quinn ebenfalls aufgreift. 

In seinem Bild liegen Früchte und Blumen in schwarz-weiß nebeneinander, die in der Natur nie zur gleichen Zeit vorkommen würden. Bunte Farbspritzer streuen darüber. Es geht um einen kritischen Blick auf das menschliche Bedürfnis, alle Pflanzen zu jeder Jahreszeit anzubieten, das Folgen wie Genmanipulation nach sich zieht. 

Einen ebenfalls kritischen Blick auf den Umgang der Menschheit mit Natur wirft Anaïs Tondeur. Dokumentarisch hält sie jedes Jahr eine Pflanze aus dem atomverseuchten Tschernobyl-Gebiet fest. Dafür benutzt sie die sogenannte Rayo-Gramm Technik. Dabei werden Gegenstände auf einen lichtempfindlichen Untergrund gelegt und beleuchtet. Der Effekt, der sich dadurch ergibt, hat etwas Bedrohliches an sich. Mit einer Hoffnung-schürenden Perspektive endet der Rundgang schließlich. Auf zahlreichen Monitoren erzeugt Hito Steyerl mit Hilfe einer Künstlichen Intelligenz Blumen, wie sie in der Natur nicht vorkommen. Die sogenannten „Powerplants“ symbolisieren einen Neubeginn, der nach vorausgegangener Zerstörung auf der Erde einsetzen könnte.

Ein Fazit mit Stefanie Weißhorn-Ponert

Blumen, so scheint es, bieten schier unendliche Möglichkeiten für Interpretationen. Am Ende ist es genau das, was die Gewächse ausmacht. „Das Motiv der Blume bietet sich für die verschiedensten Themen an. Jede Künstler:in kann ihre eigene Interpretation reinlegen, aber auch die Betrachter:innen können ganz Eigenes damit assoziieren“, erklärt Stefanie Weißhorn-Ponert. Stefanie Weißhorn-Ponert ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Museum Ostwall, das für die Ausstellung zuständig ist. Für die Flowers Ausstellung war sie außerdem Co-Kuratorin, also maßgeblich an der Umsetzung beteiligt. 

„Ich glaube, dass Blumen durch ihre Alltäglichkeit etwas Einzigartiges haben“, sagt Weißhorn-Ponert. Um die Vielfalt aufzugreifen, die Blumen kennzeichnen, braucht es eine gewisse Fülle an Themen. „Die Ausstellung soll einen Überblick geben. Auch wenn wir auf keinen Fall Vollständigkeit erwarten können, ist ein Überblick über das gegeben, was mit Blumen alles transportiert werden kann“, sagt Weißhorn-Ponert. 

Ein Thema, das sich in der Ausstellung absetzt, ist Feminismus. Künstlerinnen treffen hier nämlich nicht auf eine Blume, die wie ein leeres Gefäß interpretiert und mit Inhalt gefüllt werden möchte. Viel mehr sind durch weibliche Konnotationen und eng umwobene Sexismen bereits Bilder und Symbole entstanden, die Künstlerinnen als Ausgangspunkt nutzen. „Ich denke, dass sich die Künstlerinnen der Ausstellung deswegen speziell diesem Motiv gewidmet haben, um die allgemeine Gleichung „Blume=weiblich“ umzudeuten und eben nicht zu etwas Lieblichen formen zu lassen, sondern um die Bedeutung um eine feministische Ebene zu erweitern.“  

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