„Immer wenn Großindustrie verschwindet, müssen sich die Menschen und Städte neu erfinden.“

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Die Dokumentation We are all Detroit zeigt, was das Wegfallen der Industrie in Bochum und Detroit mit den Menschen macht. STROBO-Autor Hendrik hat mit den Regisseur:innen über Strukturwandel, Gedanken über die Zukunft und die Identität, die an den Werken hängt, gesprochen. 

Die Industrie und die Arbeitsplätze verschwinden, aber die Menschen bleiben zurück. Seit der Schließung des Opelwerks 2014 in Bochum-Laer befindet sich das Ruhrgebiet wieder einmal in dieser Situation. Der Dokumentarfilm We Are All Detroit zeigt die Entwicklung in Bochum und in der US-Metropole Detroit, die wohl wie kaum eine andere Stadt vom Niedergang der Autoindustrie gebeutelt ist. Kultur Ruhrgebiet

STROBO: We Are All Detroit verknüpft die Situationen in Bochum und Detroit. Wie seid ihr auf diese Idee gekommen?

Ulrike Franke: Das kam, da wir uns schon lange mit dem Opelwerk in Bochum und dem Wandel im Ruhrgebiet beschäftigen. Als wir gehört haben, dass das Werk 2014 geschlossen werden soll, schien es uns einfach naheliegend darüber zu berichten. Die Assoziationen zu Detroit kam, als wir die einprägsamen Bilder der dortigen General Motors Türme gesehen haben. Da kam eine Neugierde über das, was in dieser Stadt eigentlich los ist, auf. Aber es war von vorneherein klar, dass man weder die beiden Städte, noch Länder oder Systeme miteinander vergleichen kann. Das ist uns wichtig.

Ulrike Franke und Michael Loeken Foto: privat.

STROBO: Im Film wird das Werk in Bochum als representation of life bezeichnet. Was denkt ihr, bedeutet das Werk für Bochums Identität?

Ulrike: Es war nicht die tollste Arbeit, am Fließband zu stehen, wir wollen das nicht romantisieren. Aber es gab Leute, die stolz darauf waren, die sich damit identifiziert haben und zeigen wollten, dass sie Teil eines großen Ganzen waren.

STROBO: Ist dieses Identitätsbild nicht veraltet?

Ulrike: Natürlich entwickelt sich alles weiter. Das Bild steht für eine gewisse Zeit, die zu Ende geht, das ist der Punkt. Aber wenn sich früher der ganze Stadtteil Bochum-Laer mit dem Werk identifiziert hat oder in Detroit eine Autofabrik quasi die ganze Stadt ernährt hat und das dann einfach wegbricht, zeigen wir etwas Wichtiges. 

Wir sind weit davon entfernt, damit aussagen zu wollen, dass die Lösung ist, alle am Fließband zu lassen. Niemand sagt, dass wir drei Schritte zurück müssen, es ist die Frage, wie man mit diesem Wandel umgeht und wo es eventuelle Wege gibt. Aber die Antworten haben wir nicht.

Michael Loeken: Das einzig Konstante ist der Wandel. Was wir gerne aufzeigen möchten, ist, was man gewinnen kann, und was man verliert. Dass der Hardwarestore in Detroit geschlossen wird, ist nicht mehr aufzuhalten, aber es muss ein Bewusstsein darüber herrschen, dass mit dem Ende dieses Geschäfts auch eine soziale Institution zu Ende geht.

Foto: Aus We are all Detroit.

STROBO: Ihr wollt zwar vom Vergleich weg, aber was verbindet die Städte und was unterscheidet sie auch?

Ulrike: Große Unterschiede sind natürlich die sozialen Systeme in Amerika und in Deutschland. In Amerika gibt es kein Netz, keine Sicherung, wenn jemand in Arbeitslosigkeit gerät, dann fällt er oder sie viel tiefer als hier. Etwas Universelles am Film ist, zu zeigen, was Arbeit auch für die Menschen bedeutet. Dass das identitätsstiftende Dinge sind und wenn diese wegbrechen, dann ein Leerraum entsteht. 

Michael: Immer wenn Großindustrie verschwindet, müssen sich die Menschen und Städte neu erfinden, was ganz bestimmte Entwicklungen mit sich bringt. Es entstehen Fragen von Gentrifizierung oder über zurückbleibende Ruinen. Und für diese Fragen ist es egal, ob wir uns in Detroit oder Bochum befinden.

STROBO: Die Detroiter:innen, die im Film zu Wort kommen, scheinen wenig Hoffnung auf einen Wiederaufstieg ihrer Stadt zu haben. Der Standort, auf dem früher das Opelwerk in Bochum stand, hingegen nennt sich jetzt Innovationsquartier Mark 51°7 und wirbt mit Aussagen wie Wissen schafft Wirtschaft. Ist das nur gutes Marketing oder seht ihr eine leuchtende Zukunft Bochums?

Ulrike: Es ist wichtig, die große Lüge aufzudecken, dass hier 600 zukunftssichere Arbeitsplätze entstehen würden. Erstens sind die Plätze im absoluten Niedriglohnsektor. Das, was man früher als Arbeitsplatz definiert hat, ist hier nicht mehr zutreffend. Dass man von der Arbeit leben kann, dass man vielleicht auch eine vernünftige Altersvorsorge geleistet hat, fällt alles weg. 

Zweitens sagt die DHL selbst, dass sie an einer vollständigen Automatisierung arbeitet und das wissen auch alle. Die Frage ist, wo dann diese 600 Menschen bleiben. Kultur Ruhrgebiet

Im Gegensatz dazu werden mit dem Max-Planck-Institut und der Uni ja auch High-Class Arbeitsplätze auf dem Gelände entstehen. Das Gelände teilt sich am Ende in zwei Welten, in den Niedriglohnsektor und die Welt, in der sich Forschung und Innovation ansiedelt. Das ist für mich ein Sinnbild der Gesellschaft.

Foto: Aus We are all Detroit.

STROBO: Wird sich genug und vor allem kritisch genug mit dieser Seite des Strukturwandels auseinandergesetzt?

Ulrike: Beim Strukturwandel ist es oft so, dass die Leuchtturmprojekte nach vorne gehoben werden. Es passieren zwar auch tolle Sachen und natürlich ist es besser, wenn man etwas versucht, als wenn man es brach liegen lässt, aber diese Projekte gehen auch immer auf Kosten von Menschen und das ist, was mich beschäftigt.

STROBO: Wie kann man diesen Strukturwandel filmisch darstellen?

Ulrike: Wir zielen gerade auf eine sinnliche Auseinandersetzung ab. Also mit Bildern, Tönen, Stimmungen, in Emotionen und durch Zufallsbegegnungen zu erzählen, anstatt nur mit Fakten und Tatsachen. So versuchen wir auch auf der künstlerischen Ebene einen Film zu schaffen, der sich auf eine ganz eigene Art und Weise damit befasst. Wir setzen filmische Mittel ein, die klassische Reportagen oder Zeitungsartikel nicht nutzen.

Foto: Aus We are all Detroit.

STROBO: Wenn das Publikum aus dem Film eine Sache mitnehmen soll, was ist diese? Kultur Ruhrgebiet

Michael: Ich würde mir auf jeden Fall einen Dialog wünschen. Wir haben einen sehr subjektiven Blick auf die Sache, auf die Region und kann man diesen Blick teilen oder nicht teilen. Ich fühle mich nicht wie jemand, der eine Mission hat, sondern würde gerne mit Menschen ins Gespräch kommen.

Ulrike: Ich wünsche mir, dass wir für Gedankenanstöße sorgen. Der Film soll die Leute möglichst lange beschäftigen, immer wieder Bilder ins Gedächtnis rufen, sodass man die Vielschichtigkeit des Films auch mitnimmt. Für mich ist der Film ein Erfolg, wenn sich etwas aus ihm eingebrannt hat.

We are all Detroit

Die Filmemacher:innen Ulrike Franke und Michael Loeken haben 2016 schon den Grimme-Preis in der Rubrik  Information & Kultur gewonnen. Auch mit ihrem neuesten Werk We Are All Detroit sind sie erfolgreich. Nach dem Debüt bei den Hofer Filmtagen im Oktober und dem Laufen auf der Duisburger Filmwoche gewann der Film, der die dritte Auseinandersetzung Ulrikes und Michaels mit dem Opelwerk in Bochum-Laer ist, den Publikumspreis auf dem Kinofest Lünen.

Auch in ihren sonstigen Filmen beschäftigen sich die selbst aus dem Ruhrgebiet stammenden Filmemacher:innen vor allem mit dem Ruhrgebiet. Ein Kinostart oder genaues Erscheinungsdatum ist für We Are All Detroit noch nicht bekannt, allerdings, sollten alle Freund:innen des Dokumentarfilms oder Menschen, die am Thema Strukturwandel interessiert sind, ein Auge auf den Film richten. We Are All Detroit setzt keine neuen Maßstäbe des Dokumentarfilms. Er schafft es aber Bilder, Musik und vor allem Menschen reden zu lassen und damit einem sehr vielschichtigen Thema, das sonst vor allem makroperspektivisch beleuchtet wird, eine sehr persönliche Ebene zu geben.

Weitere Information findet ihr auf der Webseite des Films.

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