Das Oberhausener Theaterkollektiv mashup X verbindet analoge und digitale Elemente und möchte mit seinen Inszenierungen die Grenzen des klassischen Theaters verschwimmen lassen. Für ihre neue Inszenierung Ein Prozess gestaltet das Kollektiv einen digitalen Escape Room.
Leonie Rohlfing sitzt vor einem digitalen schwarz-weiß gekachelten Zoom-Hintergrund – die Kulisse für die neue Inszenierung von mashup X: Ein Prozess. Der Titel des Stückes beschreibt die Situation des Kollektivs eigentlich ziemlich gut. Denn erst im vergangenen Jahr unter dem Namen als hybrides Theaterkollektiv gegründet, muss es sich durch die Pandemie ständig neu erfinden. Aktuell arbeitet es ausschließlich digital.
Theaterkollektiv mashup X: Szenencollage hinterfragt gesellschaftliches Frauenbild
Das Kernteam von mashup X bildet Leonie gemeinsam mit Mia Wiebke Thies (21), unter dem Künstler:innennamen Thies aktiv. Unter dem Namen mashup X führen sie den Jugendclub des Theater Oberhausens. Die beiden machen schon seit der Schulzeit gemeinsam Theater und ergänzen sich bei der Arbeit: Leonies Fokus liegt auf der Regie und Organisation, Thies‘ Fokus auf der Musik. Die Performer:innen hingegen wechseln bei den Inszenierungen, sind in der Regel aber zwischen 17 und 22 Jahren alt. Die visuelle Gestaltung übernimmt bei Ein Prozess Sina Geist.
Mit wechselnden Performer:innen ändern sich aber nicht nur Namen und Gesichter, sondern vor allem die Perspektiven. Welche Themen für das Kollektiv relevant erscheinen, hängt ganz von den Interessen der Teilnehmer:innen ab. In der Szenencollage Medea Mashup, hat das Kollektiv mithilfe der Mythenfigur Medea das von der Gesellschaft geprägte Frauenbild hinterfragt.
Ein Prozess hingegen beschäftigt sich unter anderen mit der Schuld-Frage und dem diffusen Gefühl der Machtlosigkeit. Die Idee zur Adaption von Franz Kafkas Der Prozess kam Leonie vor allem durch Performer:innen, die auch bereits beim Medea Mashup mitgemacht haben.
Leonie Rohlfing: Hemmungen sollen abgebaut werden
„Irgendwas hat mir gesagt, Der Prozess könnte ein interessanter Stoff sein: Aufgrund der Situation, in der wir uns alle befinden. Es ist interessant, wie Kafka es schafft, eine bedrückende Atmosphäre zu schaffen, in der man auch nicht mehr weiß, wo man gerade ist, was passiert, woher das eine oder andere kommt.“ Diese Verlorenheit sehe Leonie zurzeit auch bei vielen Jugendlichen. Durch die Corona-Maßnahmen wüssten viele nicht, wie es in naher Zukunft weitergehe. Hier stellt sich bei den Proben dann die Frage: „Was können wir davon im Roman wiederfinden?“
So möchte Leonie vor allem junge Erwachsene in deren Lebensrealität abholen, – und Hemmungen abbauen. Hemmungen, die viele Jugendliche hätten, wenn sie an Theater denken. Auch Digitalität macht einen großen Teil der Lebenswelt junger Erwachsener aus. Deshalb möchte Leonie hier einen Anknüpfungspunkt bieten. Jugendliche sollen merken: Damit bin ich vertraut, da kann ich mitreden.
mashup X will Austausch auf Augenhöhe ermöglichen
Häufig wirke Theater einschüchternd oder elitär: Das fange bei imposanten Gebäuden an und höre nicht immer bei der Frage nach der passenden Kleidung auf. Im Theater seien Jugendliche umgeben von Leuten, die eine bestimmte Gesellschaftsschicht abbilden.
Das baue Hemmschwellen auf, sich überhaupt erst mit Theater zu beschäftigen: „Man ist oft von einer Struktur umgeben, in der man glaubt, keinen Anschluss zu finden oder in der man sich nicht willkommen fühlt.“ Theater fordere die Zuschauer:innen heraus: Unverständnis könne laut Leonie dazu führen, dass sich Jugendliche vom Theater abwenden: „Und dann finde ich es lieber scheiße als darüber zu sprechen, warum ich es nicht verstehe“. Leonie wünscht sich, dass Theater in der Zukunft offener und durchlässiger wird, um so noch viel mehr zum Ort eines Austausches auf Augenhöhe zu werden.
Dem flüchtigen Moment im analogen Theater fügt mashup X mit digitalen Elementen daher eine greifbarere Ebene hinzu, die auch nach der Aufführung meist verfügbar bleibt. Auch der praktische Zugang zu Theater werde so erleichtert: Die Wahrscheinlichkeit durch die Präsenz bei Instagram oder YouTube auf Theater aufmerksam zu werden, steige bei Jugendlichen so natürlich.
Kafka-Inszenierung wird zum Online-Rätsel
Ein Prozess wird hauptsächlich über einen Link auf der Homepage von mashup X zugänglich sein, auf den Zuschauer:innen jederzeit zugreifen können. Das Stück ist als digitaler Escape Room konzipiert und setzt nach Ende des Buches von Kafka an. Ausgangspunkt der Rätsel ist der bekannte erste Satz des Romans: „Jemand mu[ss]te Josef K. verleumdet haben, denn ohne, da[ss] er etwas Böses getan hätte, wurde er eines morgens verhaftet.“
Die Zuschauer:innen sollen anhand verschiedener Rätsel zum:zur Schuldigen finde, – wenn es eine:n solche:n denn gibt. Hinweise geben die Charaktere des Romans, die jeweils einen virtuellen Raum bespielen. Wer mal nicht weiter weiß, soll anhand eines Lösungsbuches Hilfe bekommen. Ende Juni soll das Projekt fertig sein.
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