Line-Ups mit überwiegend männlichen Musikern, lange Toilettenschlangen und ein Haufen oberkörperfreier Männer. Noch stecken wir mitten im Festivalsommer. Wie wohl fühlt man sich hier als FLINTA-Person? Und was fehlt, damit ALLE hier entspannt feiern können? Lena Spickermann von Feminismus im Pott ist diesen Fragen in ihrer neuen Kolumne nachgegangen und hat das Juicy Beats auf den feministischen Prüfstand gestellt.
Das Juicy Beats – es ist für mich schon vor langer Zeit zu einem sommerlichen Ritual geworden. Eine Art Pflichttermin, zu dem ich mich, wenn auch so manches Mal widerwillig, so doch zum Schluss immer mit der nötigen Portion Vorfreude, zu jeder Wetter- und Line-up-Lage hingeschleppt habe. Klar könnte ich mich jetzt über die wuchernden Preissteigerungen beschweren, die nicht erst mit der Inflation veranlasst wurden und so manches Studierenden- und Azubi-Budget übersteigen.
Die Tatsache, dass öffentlicher Musikgenuss, Sommergefühle und Schwerelosigkeit immer mehr zur Klassenfrage werden, hätte sicherlich eine eigene Kolumne verdient. Doch ein Thema, was mich in diesem Sommer nicht zuletzt aus eigener Betroffenheit – als weiblich identifizierte, musikbegeisterte Festivalbesucherin – umtreibt, ist der weit verbreitete Sexismus auf Festivals.
Ich bin, was das angeht, kein unbeschriebenes Blatt und denke, es ist wohl nicht allzu spekulativ, davon auszugehen, dass fast jede FLINTA-Festivalgänger:in aus dem Stehgreif von Erfahrungen berichten kann, die sexualisierte Übergriffe, sexistische Sprüche oder patriarchale Doppelstandards (Stichwort: Toilettensituation und Oberkörperfrei-Policy) beinhalten.
„Es braucht Awareness auf allen Ebenen!“ – Lena Spickermann
Es scheint manchmal fast so, als seien solche „Unannehmlichkeiten“ mit in das Festivalerlebnis eingepreist. Nach dem Motto: „Du weißt doch, wie es in der Musikbranche läuft, wir können das Rad auch bei diesem Festival leider nicht neu erfinden, aber willst Du Dich diesem Sommer nicht im stillen Kämmerchen vergraben und zusehen, wie alle Deine Friends zu guter Mucke ausgelassen tanzen, musst Du das Sexismus-Risiko leider in Kauf nehmen. Nächstes Mal wird’s bestimmt anders, wenn Du auch mal Fünfe gerade sein lässt.“ Dass diese individuelle Verantwortungsethik schlimme Folgen haben kann und die Musikbranche bzw. Festivallandschaft zu lange nach diesem Kurzschluss gefahren ist, zeigen zahlreiche Beispiele.
Verfolgt man die aktuellen Nachrichten rund um den Rammstein-Frontmann Till Lindemann, könnte man fast den Eindruck erlangen, als handle es sich dabei um einen besonders gruseligen Einzelfall, der mit der Gesamtsituation nur wenig zu tun hat. Eine kurze Internetrecherche genügt jedoch, um zu realisieren, dass hinter jeder Anekdote rund um sexistische Vorkommnisse bzw. sexualisierte Übergriffe auf Konzerten und Festivals ein ganzes Knäuel an miteinander verwobenen Problemen verborgen ist, die dem einzelnen Vorfall vorgelagert sind.
Festgefahrene Strukturen überwinden
Es fängt – wie so oft – auf der Ebene der Repräsentation an, reicht über die Songtexte der gebuchten Bands und endet bei der Zusammensetzung des Security-Teams und sonstigen Festival-Personal. Besteht das Line-Up mal wieder nur aus All-male-Bands? Wie oft werden FLINTA in den Liedern der Bands stereotypisiert dargestellt? Werde ich ernstgenommen, wenn ich einen Vorfall von sexualisierter Belästigung und/oder Diskriminierung melde?
Das alles sind Fragen, die man sich in diesem Zusammenhang stellen muss. Einige Veranstalter:innen von Festivals und Konzerten sind sich ihrer Verantwortung mittlerweile bewusst. Sie versuchen mit unterschiedlichen Maßnahmen (z.B. Melde-Apps, Awareness-Konzepten- und Teams, diskrete Meldestellen und Codes für Sexismus und sexuelle Belästigung/Gewalt u.v.m.), die Grundlage für ein Erlebnis zu schaffen, in der die Musik für alle im Vordergrund stehen kann. Bei dem also die Angst vor persönlichen Grenzverletzungen kein ständiger Begleiter sein muss. An anderer Stelle haben wir uns schon einmal Gedanken gemacht, wie sich Party-Veranstalter:innen als Mitstreitende im Kampf gegen patriarchale Strukturen erweisen können.
Klar ist leider zwar immer: Der Abbau alt eingespielter Verhaltensweisen ist nicht an einem Wochenende zu erreichen; vor allem nicht, wenn Alkohol dabei keine unwesentliche Rolle spielt. Eine Ausrede ist das aber nicht. Ganz im Gegenteil – erst wenn auf allen Ebenen ein Bewusstsein über die so lang ignorierten sexistischen Missstände in der Musik- und Festivalbranche entsteht, kann etwas daran geändert werden. Auch wenn es sich dabei um einen Prozess handelt, an dem alle mitwirken müssen (Booker:innen, Veranstalter:innen, Festivalpersonal, Bands, Besucher:innen usw.).
Das Juicy Beats-Festival auf dem feministischen Prüfstand
Was ich an dieser Stelle als Kolumnistin von STROBO tun kann, ist, mich nicht von den ganzen Mackern und Mitläufer:innen unterkriegen zu lassen, die mir auf den letzten Festivals begegnet sind. Ich habe mir dagegen vorgenommen, den Finger immer wieder in die Wunde zu legen, über die Zustände in der Festivalszene zu berichten und auch erste Erfolge in Richtung eines unbeschwerten Festivalerlebnis für Alle zu feiern.
Das Juicy Beats ist kein typisches Festival. Durch seine zentrale Lage im Westfalenpark Dortmund ist es – zumindest für Leute, die aus dem Ruhrgebiet kommen – nicht notwendig, dort zwei Tage am Stück zu verweilen und zu zelten. Es ist möglich, freitagnachts entspannt wieder nach Hause zu fahren, um dann – wenn man ein Zwei-Tage-Ticket hat – am nächsten Tag in alter Frische wieder zurückzukehren. Der:die ein oder andere Festivalromantiker:in wird bei dieser Info traurig den Kopf sinken lassen, aber für FLINTA kann das manchmal Erleichterung verschaffen.
Einige Artists mit klaren Ansagen
Nachts allein zum Zelt zu irren, stets zu befürchten, von ungebetenen Gäste aus dem Schlaf gerissen zu werden oder sich ungeschützt mit einer Gruppe von fremden Personen in Gemeinschaftsduschen zwängen zu müssen, kann belastend sein. Nachdem ich recht behutsam von einer FLINTA-Person aus dem Security-Team abgetastet wurde (auch das habe ich schon anders erlebt), freute ich mich auf den ersten Auftritt, der für diesen Tag auf meiner Liste stand: Team Scheiße. Und obwohl das Line-Up des Juicy Beats in diesem Jahr mal wieder mehr auf ein unausgewogenes Verhältnis zwischen männlichen Künstlern und FLINTA-Interpret:innen gesetzt hatte, schlug mein feministisches Herz bei diesem Festival-Auftakt höher.
Neben klaren Ansagen an das (cis-männliche) Publikum, allen genügend Raum zum Feiern und Tanzen zu lassen, die persönlichen Grenzen der Anderen zu respektieren und die T-Shirts anzubehalten, setzten sie mit der spontanen Organisation eines FLINTA-Pits (ein Moshpit nur für FLINTAS) ein Zeichen gegen übergriffiges Verhalten und für geschützte Räume, in dem hemmungsloses Tanzen plötzlich auch für diejenigen möglich war, die sich sonst nicht so ohne weiteres bedingungslos den rhythmischen Klängen überlassen können.
Auch weitere Interpret:innen setzten an diesem Abend ein ähnliches Zeichen, indem sie sich vorab ganz klar gegen jede Art von diskriminierenden Verhaltensweisen äußerten. Der geringe Aufwand, der hinter solchen Statements steckt, wird durch deren nicht zu verachtende Wirkung aufgewogen. Musiker:innen erfüllen für viele eine Vorbildfunktion; sie können neue Denkanstöße und Impulse für ein gewaltfreies Miteinander erteilen.
Leere Gesten statt klare Positionierung
Diese positiven Eindrücke wurden dennoch mit Blick auf die Infrastruktur und Organisation des Festivals abgeschwächt. Lange Toilettenschlangen und hohe Geldbeträge für diejenigen, die sich nicht an eine Pinkelrinne stellen konnten, verpassten meiner Feierlaune einen ordentlichen Dämpfer. Auch die Tatsache, dass die Betreiber:innen weder ein Awareness-Konzept auf ihrer Webseite veröffentlicht, noch ein geschultes Awareness-Team zusammengestellt hatten, an das man sich im Falle von sexualisierten Übergriffen hätte wenden können, machte mich stutzig.
Zwar begegnete ich an jeder Ecke überwiegend männlich gelesenen Security-Personen, doch diese schienen hauptsächlich damit beschäftigt zu sein, alkoholisierte Raufbolde in Schach zu halten, „Wildpinkeln“ und den unzulässigen Eintritt über Mauern bzw. Zäune zu verhindern. Niemals wäre ich auf die Idee gekommen, eine:n von ihnen im Falle grenzüberschreitenden Verhaltens ins Vertrauen zu ziehen. Zwar fand ich an einigen Stellen Plakate des NRW-weiten Projekts „Luisa ist hier“, doch hielt ich diese Geste mit zunehmender Stunde in einem nicht vollständig beleuchteten Park für unzureichend.
„Da ist noch Luft nach oben!“ – Lena Spickermann
Mein Fazit für diesen Abend lässt sich schließlich auf einen kurzen Nenner bringen: Da ist noch Luft nach oben! Für alle Veranstalter:innen von Festivals und Partys gibt es aber auch eine gute Nachricht: Ihr steht mit der Organisation eines diskriminierungsfreien Festivals nicht alleine da. Es existieren bereits tolle Expert:innen(-stellen), die sich dem Thema Awareness gewidmet haben und mit Rat und Tat zur Seite stehen können.
Für mich ist der Festival-Sommer mit dem Juicy Beats allerdings noch nicht abgeschlossen. Ich freue mich noch auf drei weitere Spätaugust-Tage auf dem Moyn Moyn-Festival mit lauten Bässen, stimmungsvollen Beats und – Daumen sind gedrückt – ohne sexistische Vorfälle!
Bock auf mehr STROBO? Lest hier: Warum das Kino ein Raum für feministische Gegenerzählungen ist.