Ich liebe das Jugendwort des Jahres

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Aktuell darf die Jugend Deutschlands wieder ihr Wort des Jahres wählen. Für STROBO-Autor Lennart ist das die schönste Zeit des Jahres. In der Kolumne erklärt er warum es nicht nur eine ziemlich gute PR-Maßnahme ist, sondern auch für die Jugend einen Mehrwert bietet.

Ich liebe das Jugendwort des Jahres. Ja, das steht schon in der Überschrift, aber es kann auch durchaus dreimal gesagt werden: Ich liebe das Jugendwort des Jahres. Warum fragt ihr euch? Ist es nicht nur eine (ziemlich gute) PR-Maßnahme eines deutschen Verlags? Ist es nicht nur eine Diskussion über Wörter, die entweder niemand nutzt oder jeder schon vor zehn Jahren genutzt hat? Glaubt mir, es ist viel mehr als das. 

Es ist der Punkt im Jahr, an dem sich Erwachsene mit der Jugend beschäftigen. Nicht nur durch banale Fragen am Küchentisch, sondern so richtig. Durch Anmoderationen in der Tagesschau, Social Media-Beiträgen der großen Nachrichtendienste und auch Gesprächen am Küchentisch. Die Jugend darf plötzlich beim täglichen Nachrichtenspiel der Erwachsenen nicht nur zusehen, sondern teilnehmen. Besonders Corona hat gezeigt, wie wenig die Lebenswelt der Jugend in den Medien thematisiert wird. Ausgenommen natürlich peinlich distanzierte Beiträge zu coolen „Fun-Sportarten“ wie Skateboarden oder Ultimate Frisbee. Oder mal ein ziemlich überheblicher Beitrag über YouTuber:innen oder Streamer:innen. Es ist klar, dass viele ältere Menschen Techno belächeln, weil es einfach in keiner Weise Teil ihrer Lebenswelt ist.

Die Unsichtbare Jugend

Das ist halt das Schicksal der Jugend. Meistens sind wir und unsere Interessen für Erwachsene unsichtbar, wenn wir nicht durch Blutsverwandtschaft zwangsweise an sie gebunden sind. Gerade als kollektive Gruppe. Und ganz ehrlich, meistens ist diese Unsichtbarkeit ziemlich cool. Denn dadurch bleiben uns peinliche und überhebliche Facebook-Kommentare zu unseren Interessen und Gewohnheiten von Personen mit Profilbildern, mit viel zu nah aufgenommenen Selfies, erspart. 

Doch einmal im Jahr können wir uns sicher sein, genau diese Überheblichkeit zu sehen. Eben beim Jugendwort des Jahres. Wir werden Zeuge davon, wie wenig die „Erwachsenen“ eigentlich über die Jugend wissen. Wie abfällig sie über Anglizismen oder Wörter reden, deren Hintergrund sie schlichtweg nicht verstehen. Unwissenheit macht aus Gründen der Überkompensation gerne überheblich oder aggressiv. 

Das Tolle am Jugendwort des Jahres ist außerdem, dass der deutschen Gesellschaft nichts heiliger ist als die „eigene“ Sprache. Das zeigen tägliche Debatten übers Gendern. Anzuerkennen, dass Sprache etwas Fluides ist, dass Sprache gerade in verschiedenen kollektiven Gruppen einfach anders ausfällt, dass nicht jeder Mensch gleich sprechen muss, das fällt einigen doch ziemlich schwer. 

Endlich in der Machtposition

Und kommen wir nochmal zur Unwissenheit. Denn das ist auch das Magische am Jugendwort des Jahres. Endlich sitzt die Jugend mal am längeren Hebel. Endlich haben wir mal den Wissensvorsprung, die Machtposition inne. Die Bedeutung vieler Jugendwörter ist nicht erklärbar. Klar, man kann „cringe“ oder „same“ übersetzen und beschreiben, wenn man es aber nicht täglich hört oder gar selbst benutzt, wird man nie wissen in welchen Kontexten und Situationen das Wort genau benutzt wird. Lustig ist vor allem, dass zur Erklärung dieser Jugendwörter meist auch Erwachsene (Sprachwissenschaftler:innen z.B.) herangezogen werden, anstatt die Jugend einfach mal selbst zu fragen. Hä? Peinlich sind außerdem die Versuche der Älteren, diese „hippen“ Wörter selbst im Alltag zu benutzen. Gerade, wenn Unternehmen es aus Marketingzwecken machen. (I’m talking about you, Sparkasse!

Genau aus diesem Grund des Wissensvorsprungs liebe ich die Nomination des Wortes „Mittwoch“, das jetzt im zweiten Jahr in Folge unter den Top 10 steht. Auf verschiedenen Nachrichtenseiten wird es beschrieben als „Internet-Meme“ oder auch als „Teil des Kröten-Memes ‚Es ist Mittwoch meine Kerle‘“. Ich hoffe Mittwoch gewinnt, denn dann kommen die Nachrichtenseiten erst so richtig in Erklärungsnot. Und das Tolle ist, dass man die Bedeutung von Mittwoch nie in einem einzelnen Beitrag beschreiben kann. Das kann auch kein:e Sprachwissenschaftler:in. Das Wort ist als Meme über Jahre hinweg gewachsen. Es ist seine augenscheinliche Stumpfheit, die die eigentliche Raffiniertheit und Bedeutungskraft des Wortes überdeckt. Und diese Bedeutungskraft wird niemand genau verstehen, der nicht Teil der kollektiven Gruppe der jungen Leute ist. 

Nie, nie, nie wieder Smombie

Und da wäre noch eine Sache zu erwähnen. Mittlerweile darf die Jugend selbst demokratisch über das Jugendwort des Jahres entscheiden. Danke. Vor einigen Jahren hat das tatsächlich noch eine Jury aus Erwachsenen(!) gemacht. Echt jetzt. Das ist ungefähr so, als würde die Jury von Let’s Dance den Chemie-Nobelpreis vergeben (auch wenn ich Joachim Llambi nicht seine Kenntnisse in der Bewertung von Genscheren-Verfahren absprechen will). Das hat uns dann übrigens so tolle Gewinner-Wörter wie “Smombie” gebracht. Augenscheinlich irgendwie kreativ, auch wenn sie keiner nutzt, und in Wahrheit nicht ansatzweise so vielschichtig wie Mittwoch!

Jugendwörter sind unsere Codes, die die Erwachsenen nicht verstehen. Es ist unsere Möglichkeit uns auszudrücken und abzugrenzen. Sie zeigen die Dynamik und Kreativität mit der junge Menschen ihr Leben gestalten und sind Sinnbild für unsere Interessen, Gewohnheiten und Lebensweise. Und genau deshalb liebe ich  die Wahl zum Jugendwort des Jahres und all die Diskussionen, die mit ihr verbunden sind. 

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