Mit „Time To Lose Control“ releast die Dortmunder Indie-Band Walking on Rivers heute ihre zweite EP und löst sich damit musikalisch vom Folk-Image. Wie sich Kontrollverlust in ihrem eigenen Leben zeigt und ob sie sich vorstellen könnten, später Metal zu machen, lest ihr im STROBO:Talk.
STROBO: Wie der Titel schon andeutet, bildet Kontrollverlust in eurer neuen EP „Time To Lose Control“ einen thematischen Rahmen. Wie kommt ihr zu dem Thema?
David: Der Hauptbeweggrund war für mich, dass ich schon ein bisschen länger studiere und mich nie so wirklich getraut habe, aus diesem ganzen Ding herauszugehen – obwohl ich eigentlich viel lieber etwas anderes mache. Das liegt an dem gesellschaftlichen und familiären Druck. Daran, dass man das Gefühl hat, man möchte den Leuten gerecht werden. Und obwohl man lieber was anderes machen würde, will man sich trotzdem parallel diese Option offenhalten. Bei mir ging es darum, ein Stück die Kontrolle abzugeben, das Studium an die Seite zu stellen und jetzt mal so richtig tief in das Musikmachen zu gehen.
Borsti: Manchmal kann es auch eine Befreiung sein, sich von seinen eigenen Kontrollzwängen zu lösen und einfach mal mit sich selbst aufzuräumen, indem man Musik macht. Deshalb brenne ich total dafür.
STROBO:Inside
Die Dortmunder Indie-Band Walking on Rivers besteht aus Sänger und Bassisten David Laudage (28), dem Drummer Martin Kreuzer (34) und dem Gitarristen und Co-Produzenten Borsti Pieper (30). Die drei haben sich 2012 an der TU Dortmund im Lehramtsstudium durch den gleichen Freundeskreis kennengelernt. Walking on Rivers gibt es seit 2015, Borsti ist 2019, nach seinem Studium der Musikproduktion und Aufenthalten in Darmstadt, Luxemburg und Berlin, dazugekommen. Mit ihrer zweiten EP „Time To Lose Control“ lösen sich Walking on Rivers vom Folk-Image und begeben sich erstmals in sphärische Gefilde.
STROBO: „Time To Lose Control” läutet nicht nur musikalisch, sondern auch intern eine neue Bandphase ein – statt zu fünft seid ihr nun zu dritt.
Martin: Genau, die anderen beiden, die von Anfang an dabei waren, sind nicht mehr dabei.
David: Die haben die Kontrolle behalten – einer ist jetzt im Referendariat und der andere schon fertig. Darum geht’s vielleicht auch ein bisschen. Es gab diesen Interessenkonflikt innerhalb der Band, die Prioritäten bei uns waren einfach irgendwo anders. Und seitdem die beiden sich für das andere entschieden haben und wir gesagt haben „Ne wir machen jetzt weiter Musik“ ist es auch viel besser. Für den Workflow und für unser miteinander.
STROBO: War dieser Einschnitt der Auslöser für eure neue EP?
Martin: Ich glaub nicht, dass das der Anlass war, weiter Musik aufzunehmen oder neue Songs zu schreiben. Tatsächlich glaube ich, dass das auch etwas mit Corona zu tun gehabt hat, weil wir vorher sehr viel live gespielt haben. Wir haben zwar Songs geschrieben, aber wenig Zeit fürs Aufnehmen gehabt. Und durch Corona konnte man das ein bisschen forcieren, einfach mal eine neue Platte rauszubringen. Es gehört ja auch einfach dazu, dass man regelmäßig was rausbringt.
David: Dass die beiden jetzt ihren straighten Weg gehen, ist cool für mich. Aber für mich wurde dadurch nochmal klarer, dass ich echt Bock hab, Musik zu machen. Das findet sich auch auf jeden Fall thematisch in den Songs. Aber es war nicht zwingend der Auslöser, diese Platte zu schreiben.
Wir mögen Folk immer noch super gerne. Unsere Musik hat sich einfach weiterentwickelt.
David, Walking on Rivers
STROBO: Nach „Off the Trails“ von 2019, habt ihr mit „Time To Lose Control“ eure zweite EP veröffentlicht. Wieso habt ihr euch dafür entschieden statt einem Debütalbum erst noch eine EP herauszubringen?
Borsti: Mit EPs kann man den Fans schon mal den Zwischenstand zeigen und es ist ein schnelleres Medium als ein Longplayer. Wir haben ein halbes Jahr an der Platte gedoktert, wenn nicht sogar ein Dreivierteljahr. Für einen Longplayer hätten wir dagegen bestimmt ein Jahr gebraucht. Und es macht halt immer Spaß, Output zu haben. Deshalb war die EP mit sechs Songs jetzt genau das richtige.
David: Ich glaube auch, dass es für einen Longplayer immer noch zu früh ist. Klar, uns gibt’s jetzt schon eine Weile, aber wir finden uns gerade so ein bisschen neu. Auch musikalisch, wenn man das mit dem alten Kram vergleicht. Auf einer EP kann man sich einfach ein bisschen ausprobieren. Da kann man in verschiedene Richtungen gehen und gucken, was gut funktioniert und was man dann für das nächste Release mitnimmt.
STROBO: Du hast es gerade schon angerissen: „Time To Lose Control“ klingt anders als das, was ihr vorher gemacht habt. Während ihr früher im Indie-Folk angesiedelt wart, geht eure neue EP sehr stark in Richtung Indie-Rock und ist auch in Teilen sphärischer als das, was ihr sonst veröffentlicht habt. War euer Plan, euch vom Folk zu lösen?
Martin: Es war so ein bisschen Vorsatz, aber auch eine natürliche Entwicklung unserer Band, dass sich der Sound so ergeben hat. Wir haben in einem ganz klassischen Setup mit klassischem Pianosound, Akustikgitarre, E-Bass und Schlagzeug immer mehr Sounds ausprobiert. Dann kam irgendwann mal im Laufe der Bandgeschichte eine E-Gitarre mit Niklas dazu, dann wurde unsere Musik eh schon ein bisschen sphärischer. Und auch unser Produzent Sven Ludwig verwendet gerne elektronische Sounds und geht gerne ins Sphärische rein. Unser Wandel kam ihm also auch zugute, weil das seine Handschrift ist.
David: Wir mögen Folk immer noch super gerne. Unsere Musik hat sich einfach weiterentwickelt. Das hängt auch immer mit der Musik zusammen, die man selbst hört. Und ich höre jetzt auf jeden Fall andere Musik als noch vor drei Jahren.
STROBO: Das heißt, welche Musiker:innen oder welche Bands haben euch im Entstehungsprozess beeinflusst?
Borsti: Wir alle haben eine Zeit lang alle The War on Drugs gehört.
David: Da könnte man jetzt als tausend verschiedene Genres und super viele Bands nennen. Bei unseren alten Songs habe ich oft gedacht: „Okay, da könnte man sagen: Klingt wie das und das und das und das.“ Und bei den neuen Songs habe ich eher das Gefühl, dass man vielleicht Einflüsse hört, die aber nicht so eindeutig sind. Bei unserer neuen EP ist es schwierig, eine Künstlerin oder einen Künstler hervorzuholen und zu sagen: „Das klingt genauso“ – und das ist gut.
Foto: Ole Meier
STROBO: Im Gegensatz zur Vergangenheit – da wurdet ihr oft mit Mumford and Sons verglichen. In einem Interview habt ihr mal gesagt, dass euch das genervt hat.
Alle: Ja, das stimmt. (lachen)
STROBO: Woran liegt das?
David: Der Vergleich ist ja auch irgendwie ein Kompliment. Die ersten beiden Alben von Mumford and Sons sind super gut und es ist ja auch eine kleine Ehre, wenn jemand unsere Musik damit assoziiert. Aber sobald man eine Akustikgitarre und dreistimmigen Gesang hatte, wurde die Musik immer direkt mit Mumford and Sons assoziiert. Und das ist uns irgendwann so ein bisschen aufgestoßen. Aber ich hoffe, dass wir das jetzt mit der neuen Platte ein bisschen ablegen können.
Martin: Man muss auch ehrlich sagen: Unsere allerersten Songs gingen ja auch stilistisch voll in die Richtung. Mich persönlich hat irgendwann genervt, dass wir schon längst nicht mehr so klangen und der Vergleich immer noch rausgekramt wurde.
Wir wollen unbedingt dieses Jahr noch Musik veröffentlichen. Wann ist noch unklar, aber wir arbeiten parallel wieder an neuen Sachen.
Borsti, Walking on Rivers
STROBO: Selbst kommt ihr musikalisch aus sehr unterschiedlichen Richtungen. David und Borsti, ihr kommt aus Metal und Hardcore Punk, während Martin in einer Deutschpop-Band gespielt hat. Könntet ihr euch vorstellen, musikalisch noch einmal in diese Richtungen zu gehen?
Borsti: Unbedingt.
David: Ich habe gestern noch mit einem Kumpel darüber geredet, dass ich auf jeden Fall irgendwann nochmal Bock auf eine Metalband habe. Aber natürlich nicht mit Walking on Rivers.
Borsti: Ja genau im Walking on Rivers-Kontext sehe ich das auch überhaupt nicht. Bei uns finde ich momentan so schön, was für einen Wandel wir vollziehen. Einfach nicht zu gucken, wie man den Song haben möchte, sondern sich einfach die Freiheit zu nehmen und zu sagen: „Wir lassen den Song, den wir gerade schreiben, erst mal auf uns wirken.“ Was will die Musik von uns? Und das finde ich, ist ein cooler Ansatz, den ich mit der Band verfolge. Im Metal oder Hardcore Bereich macht man anders Musik, auch mit Kontrollverlust, aber einer ganz anderen Ästhetik.
STROBO: Normalerweise kommt nach einem Release ja erst einmal eine lange Promo-Phase mit Konzerten und Festival-Gigs. Das ist wegen der aktuellen Situation jedoch schwierig. Was steht bei euch an?
Borsti: Wir haben dieses Jahr ein paar Release-Shows geplant. Nächste Woche geben wir ein Streamingkonzert aus der Westfalenhalle und spielen im Juli Konzerte in Hamburg und Köln. Es kommen aber auch noch Konzerte, die wir bald ankündigen. Unsere Bookingagentur kämpft natürlich darum, dass wir Sachen machen können. Aber man kann halt nicht absehen, ob das alles wegen der Beschlüsse funktioniert oder nicht. Wir wollen unbedingt wieder live spielen, um zu sehen wie unsere EP ankommt. Und ansonsten stecken wir schon fast wieder im kreativen Prozess. Wir wollen unbedingt dieses Jahr noch Musik veröffentlichen. Wann ist noch unklar, aber wir arbeiten parallel wieder an neuen Sachen.
STROBO: Was kann man da musikalisch von euch erwarten?
David: Ich glaube wir werden an unserem Sound von „Time to Lose Control“ anknüpfen. Die EP war superwichtig für uns, um zu merken, dass man sich einfach Sachen trauen kann. Das, was jetzt teilweise auf dieser Platte musikalisch passiert ist, wäre vor einem Jahr noch undenkbar für mich gewesen. Wir haben durch diesen ganzen Studio-Prozess echt gelernt, dass man einfach machen kann. Und wenn es cool klingt, dann es klingt cool. Und wenn nicht, dann lässt man es halt bleiben.
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