Florentina Holzinger ist eine der angesagtesten Performerinnen der Theaterszene. In der Jahrhunderthalle Bochum nimmt sie sich bei der Ruhrtriennale mit zwei radikal feministischen Performances die christliche Liturgie vor. Das Essener Kollektiv The Third Room kuratiert das musikalische Line-up für den Abend. Rave und Performance gestalten im Wechselspiel einen ekstatischen Abend.
Samstagnacht in der Bochumer Jahrhunderthalle, die Ruhrtriennale 2023. Hunderte Raver:innen und Kunstinteressierte betreten die gigantische Maschinenhalle. Was als Rave angekündigt war, beginnt gediegen und fast besinnlich. Die Besucher:innen machen es sich bei Cello- und Klavierklängen auf dem blanken Boden des ehemaligen Industriestandortes gemütlich. Man schreitet bedächtig durch die Menge, die erwartungsvoll auf eine erste Performance der österreichischen Choreographin Florentina Holzinger hinfiebert. Performance und Rave lassen nicht lange auf sich warten.
Florentina Holzinger kreiert hypnotische Stimmung
Gebannt starrt die Menge auf das riesige Botafumeiro, ein Weihrauchpendel, das man üblicherweise aus der katholischen Kirche kennt. Hier in der Jahrhunderthalle schwingen sich daran jetzt zwei nackte Frauen durch die Nacht. In atemberaubender Höhe schnellt das Pendel hin und her. Erst als es nach fünf Minuten zum Stillstand kommt und der Abend in den Rave übergeht, werden sich die Zuschauer:innen der hypnotischen Wirkung bewusst(er).
Dann wird es laut: Dasha Rush und das Duo Amnesia Scanner (u. a.) versorgen das Publikum mit ekstatischen Techno-Klängen. Bewegte Bilder auf einem riesigen LED-Panel untermalen die Impulse der Musik.
Um halb zwei geht Florentina Holzingers Gruppe dann in die zweite Runde. Auf der anderen Seite der Halle werden diesmal drei Glocken in Schwingung versetzt. Nachdem eine Performerin nackt in die mittlere Glocke steigt, wird diese von zwei weiteren Frauen in pendelnde Bewegungen versetzt. Energisch schmettern die Frauen ihre Hämmer gegen die Glocken. Die Frau in der Glocke hängt mittlerweile kopfüber aus ihr herunter. Ein wahrlich erschütterndes und epochales Bild.
Nackt gegen sakrale Dogmen?
Irritierte und faszinierte Blicke wandern durch den Raum. Was drücken die Frauen aus, wenn sie die Glocken und das Weihrauchpendel bezwingen? Florentina Holzinger ist sicherlich eine der progressivsten Kunstschaffenden unserer Zeit. Mit „Étude for a bell“ nimmt sie sich explizit christliche Wahrzeichen, um sie zum Gegenstand eines feministischen Protestes zu machen.
Nackte Frauenkörper, die buchstäblich die Symbole der katholischen Kirche erklimmen. Glocken läuten und Weihrauchpendel schwingen – das ist, im Namen des Vaters, in den Zeremonien der katholischen Kirche den Männern vorbehalten. Holzingers Performerinnen scheinen die Glocken zum Weckruf zu läuten: Was ist die Rolle der Frau in der christlichen Liturgie? Die Performance protestiert ohne Worte. Holzinger lässt ihre Choreographie sprechen, um den geistlichen Dogmen vor den Kopf zu stoßen.
Ruhrtriennale feiert den Protest für das weibliche Geschlecht
Eingebettet in den Rave von The Third Room wird der Abend zum Anlass, Holzingers progressive künstlerische Intervention in ekstatischem Tanz zu verarbeiten. Internationale Künstler:innen bringen die Menge bis in die frühen Morgenstunden zum Schwitzen. Damit beweist Barbara Frey, die Intendantin der Ruhrtriennale, die sich selbst unter die lebhafte Öffentlichkeit mischt, den Willen, auch in diesem Jahr ein junges Publikum abzuholen.
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