„Wir wollen junge Stimmen hörbar machen, die fernab von der weißen Norm sind“: Interview mit „Pottgedanken“

Mein Bild

Heimat und Identität – darum geht es im Podcast „Pottgedanken“. Ein Team aus jungen Journalist:innen spricht mit wechselnden Gäst:innen über ihre Erfahrungen im Ruhrgebiet. Alisa, Bena und Sherin sprechen mit STROBO, was für sie selbst Heimat bedeutet und wieso sie sich vom Label „postmigrantisch“ lösen wollen.

STROBO: Ihr beschreibt Pottgedanken als einen Podcast über Heimat im postmigrantischen Ruhrgebiet. Was bedeutet es für euch, postmigrantisch zu sein?

Alisa: Wir waren alle von 2020 bis 2021 in einem Mentoringprogramm von den Neuen Deutschen Medienmacher:innen, was sich an Nachwuchsjournalist:innen aus dem Ruhrgebiet mit einem migrantischen Hintergrund gerichtet hat. Dieser Podcast ist unser Abschlussprojekt, das wir gemeinsam konzipiert haben. Langfristig möchten wir uns von diesem Postmigrantischen aber lösen und mit dem Podcast unsere Sicht auf das Ruhrgebiet darstellen. Wir wollen junge Stimmen hörbar machen, die fernab von der weißen Norm sind.

Bena: Das Postmigrantische ist eher ein Nachsatz für weiße Menschen. Bei uns geht es vielmehr um das Ruhrgebiet und unsere Gedankenwelt. Menschen, die aus unseren Kulturkreisen kommen, verstehen das natürlich besser. Postmigrantisch soll zeigen: Hey weiße Menschen, hier ist ein Multikulti-Team aus Journalist:innen, die Bock haben darüber zu reden, dass das Ruhrgebiet bunt ist. Das wird in anderen lokalen Formaten nicht unbedingt gezeigt.

STROBO:Inside – Pottgedanken

INSIDE
Seit etwa einem Jahr veröffentlichen die Journalistinnen Bena, Alisa, Sherin, Safiye und Joyce einmal im Monat eine neue Folge ihres Podcasts „Pottgedanken“. Mit immer wechselnden Gäst:innen sprechen sie in verschiedenen Settings über das Ruhrgebiet als Heimat und Aktionsraum. Den Podcast findet ihr auf Spotify, alle weiteren Infos bei Instagram. 

STROBO: Was heißt das?

Sherin: Lokalmedien sind sehr weiß und nicht-weiße Menschen tauchen wenig bis kaum auf. Außerdem sind sie kaum als Medienschaffende dabei. Das Ruhrgebiet hat zwar den Ruf „bunt“ zu sein, aber wer genau sind denn diese vielfältigen und bunten Menschen?

Bena: Man redet immer über uns, aber nie mit uns. Migrantisch ist wenn dann „Die Anderen“. Wir möchten das Postmigrantisch neu definieren.

STROBO: Bei euch waren schon der Essener Rapper D.C. (zum STROBO-Interview kommt ihr hier) oder die Schriftstellerin Ismahan Azzaitouni zu Gast. Wie findet ihr interessante Menschen für euren Podcast?

Alisa: Wir versuchen immer Gäst:innen aus verschiedenen Städten des Ruhrgebiets einzuladen. Bis jetzt ist das auch ganz gut gelungen. Wir hatten Gäst:innen aus Gelsenkirchen, Witten, Bochum, Essen, Dortmund, Mülheim und Duisburg. Dann versuchen wir immer verschiedene Communities abzubilden: von einer Lehrerin, die in einer Schule in Gelsenkirchen unterrichtet, bis zur Aktivistin, die sich sehr für Endometriose-Awareness einsetzt.

Sherin: Wir wollen aber keine super berühmten Menschen interviewen. Es sollen Leute sein, die im Pott selbst leben und etwas zum Pott zu sagen haben.

Bena: Viele berühmte Personen sind auch oft weggezogen – nach Berlin zum Beispiel.

STROBO: Alte Zechen, Armut, wenig Perspektiven: Das Ruhrgebiet ist für Leute von außerhalb voller Klischees. Welche Rolle spielt euer Podcast beim Aufbrechen dieser?

Bena: Wir wollen den Pott neu claimen und neu gestalten. Und wir wollen zeigen, dass es hier nicht nur Micky Beisenherz aus Castrop-Rauxel gibt. Hier gibt es auch dein.couseng aus Essen, der flye Musik macht.

Sherin: Einerseits ist der Podcast für die Leute, die im Ruhrgebiet leben, um einen anderen Blick auf die eigene Umgebung zu bekommen. Zum gewissen Teil ist er aber auch für Leute, die nicht im Ruhrgebiet leben. Wir wollen Sichtbarkeit schaffen.

„Pottgedanken“ Podcast im Interview: „Der Pott ist arm, aber sexy“

STROBO: In eurem Podcast sprecht ihr mit euren Gäst:innen oft über ihr Verständnis von Heimat. Was ist Heimat für euch?

Alisa: Wir haben das alle anders definiert: Für mich ist Heimat da, wo ich mich wohlfühle und da wo ich das Gefühl bekomme, richtig zu sein.

Sherin: Ich benutze lieber das Wort „Zuhause“ als Heimat. Und mein Zuhause besteht für mich generell aus Menschen.

Bena: Heimat sind die Menschen und der Vibe. Ich komme gerade aus Berlin und ich hatte das Gefühl, ich kehre in meine Heimat zurück ins Ruhrgebiet. Berlin kann auch hart anstrengend sein.

STROBO: Warum fühlt ihr euch besonders im Ruhrgebiet zu Hause?

Alisa: Jede dritte oder vierte Person im Ruhrgebiet hat einen Migrationshintergrund. Hier fühle ich mich einfach wohler.

Bena: Der Pott ist arm, aber sexy.

Alisa: Genau, das Ruhrgebiet hat so viel Potenzial. Man muss es  wie eine große Stadt begreifen. Witten ist ein Stadtteil, Essen einer und so weiter. Es gibt hier viele Menschen, die kreativ sind und man muss auch nicht immer wegziehen. Hier gibt es auch viele Möglichkeiten.

STROBO: Wie würdet ihr das Ruhrgebiet verändern, wenn ihr könntet?

Bena: Ich wünsche mir bessere Bahnverbindungen, besonders zwischen Bochum und Gelsenkirchen.

Sherin: Ja, dafür, dass es BOGESTRA heißt, ist die Verbindung zwischen Bochum und Gelsenkirchen grottig. Außerdem möchte ich mehr partizipative Räume und Begegnungsstätten.

Bena: Ich möchte, dass die Bürgermeister:innen diese Region endlich einmal als Metropole und als Ganzes verstehen. Wenn man die Städte besser vernetzen würde, wäre das wirklich gut. Hier kocht immer noch jede:r sein:ihr eigenes Süppchen. 

Alisa: Das Ruhrgebiet sollte an seinem Marketing arbeiten. Der Pott hat außerhalb von NRW keinen guten Ruf. Man sollte besser nach außen kommunizieren, dass es hier nicht nur hässliche Gebäude gibt, sondern vieles mehr.

Bena: Zum Beispiel reden alle davon, wie hässlich Gelsenkirchen ist, aber waren die meisten Leute schon einmal dort? Nein. Kommt einfach ins Ruhrgebiet und checkt die Städte selbst aus.

Bock auf mehr STROBO? Lest hier „Wir wollen der verhaltensauffälligste Slam sein“: Die WestStadtStory in Essen 

Mein Bild
Mein Bild