Die Rottstraße in der Nähe des Bochumer Hauptbahnhofs ist ein multikulturelles Ballungsgebiet. Ein asiatischer Supermarkt, kultige Kneipen und ein Wettbüro weisen den Weg zu einem Ort, den man sicherlich nicht unter der Brücke der Glückauf-Bahn erwarten würde: das Rottstr 5 Theater.
Schon über die Grenzen des Ruhrgebiets hinaus hat sich die Rottstr 5 als feste Größe im freien Theaterbetrieb etabliert. Mit sechs bis acht jährlichen Premieren und zusätzlichen Konzerten, Filmevents und Gastspielen ist auf dem Spielplan für jede:n was dabei. Von „Fight Club“ bis Büchners „Lenz“ ist das Programm facettenreich. Aber was verleiht dem Theater seinen besonderen Charme?
Theater im urbanen Raum
Hinter der schweren Tür der Rottstr 5, die den Zugang unter eine Bahnbrücke öffnet, verbirgt sich ein großer, gewölbter Raum. Im Eingangsbereich eine kleine Bar, an einigen Stellen hängen Lichterketten und ein paar Kabel von der Decke. Hier und dort bröckelt ein wenig der Putz. In gelöster Atmosphäre findet man seinen Platz zwischen anderen Besucher:innen auf einer Couch oder einem Stuhl und wartet mit einem Bier bei guter Musik auf den Vorstellungsbeginn. So bleibt noch genug Zeit, um den Raum auf sich wirken zu lassen, bevor die Spots angehen und die Magie ihren Lauf nimmt. Was unter der Bahnbrücke im ersten Moment improvisiert erscheinen mag und mit geringen finanziellen Mitteln daherkommt, wird durch hohe Schauspiel- und Regiekunst überboten.
Das Team der Rottstr 5 holt Theater jedes Wochenende aus prunkvollen Sälen heraus und setzt es buchstäblich unter eine Brücke. Damit trägt es dazu bei, Schwellenängste vor den prestige- und wohlstandsorientierten Milieus konventioneller Theaterhäuser zu lösen.
Zur Magie unter der Bahnbrücke
Die besondere Kulisse setzt die Maßstäbe für die künstlerischen Gestaltungsprozesse. Jede neue Produktion wird mit der bereits bestehenden Atmosphäre der gewölbten Brückenhalle entwickelt.
Regelmäßig rauschen Züge deutlich hörbar über das Theater hinweg. Doch die „kommen nie zu spät, sondern immer zum richtigen Zeitpunkt“, scherzt Oliver Paolo Thomas, einer der beiden künstlerischen Leiter des Theaters. Denn das kurzzeitige Dröhnen der Schienen erzeugt eine Stimmung, die sich künstlerisch einbauen lässt. Beim Workaholic Jakob Lenz (im gleichnamigen Stück gespielt von Linus Ebner) unterstützt das Rumoren beispielsweise die psychische Unruhe.
Alexander Ritter ist seit Anbeginn Teil des Theaterensembles der Rottstr 5 und mittlerweile ebenfalls als künstlerische Leitung tätig. Ihn fasziniert das Theater insbesondere aus der Sicht seiner eigenen Performance: „Durch den nahen Kontakt zu den Zuschauer:innen wird man als Künstler zwar wahnsinnig herausgefordert, aber auch befriedigt.“
Bühnen- und Zuschauer:innenraum sind nicht voneinander getrennt. Die Tunnelatmosphäre und das minimalistische Bühnenbild maximieren zusätzlich die Wirkung der Spielenden. Dadurch lassen sich Gefühle besonders gut transportieren. Es entsteht eine Nähe zwischen Zuschauer:innen und Darsteller:innen, die fast partizipativ wirkt. Die Attitüde des Theaterprojekts wird besonders deutlich, wenn Alexander Ritter resümiert: „Man arbeitet hier nicht für Prestige und Geld, sondern weil man Bock drauf hat.“
Ausstieg aus dem konventionellen Theaterbetrieb
Das Rottstr 5 Theater wurde 2009 von Schauspieler:innen und Regisseur:innen gegründet, die sich vom städtischen Bochumer Theaterbetrieb abgekapselt haben. Jenseits von starren Konzeptionen entschied sich die Gruppe explizit, einen freien Raum der kreativen Entfaltung zu gründen. Lasterhafte Bürokratisierung wollte das Gründungsteam vermeiden und den Fokus auf den künstlerischen Vorgang legen. Finanziell unterstützt unter anderem die Stadt Bochum das Theater.
Unter dem Namen „Young ‘n’ Rotten“ performen auch Nachwuchskünstler:innen in der Rottstr 5. Für sie bietet das Theater den Raum, sich künstlerisch auszuprobieren und erste Schauspielerfahrungen zu sammeln. Die jungen Darsteller:innen arbeiten mit professionellen Regisseur:innen und unter Originalbedingungen. Auch für junge Bands ist die Rottstr 5 ein Anlaufpunkt, um erste Konzerte zu realisieren.
Die Rottstraße in Bochum beherbergt ein kulturell sehr breit aufgestelltes Theater voller künstlerischer Möglichkeiten und Programme – das zu erleben, lohnt sich.
Bock auf mehr STROBO? Lest hier: Von Köln über Salzburg nach Berlin – und zwischendruch in den Pott: die freischaffende Schauspielerin Iman Tekle.