„Deals von Männern, für Männer und unter Männern“ – Warum es Festival Line-Ups an Diversität fehlt

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Über Gleichberechtigung wird immer öfter diskutiert. Zur gleichen Zeit bleibt die Musikszene vorwiegend männlich. Das verrät der Blick auf die diesjährigen Festival Line-ups. STROBO hat mit Personen aus der Szene über Ursachen und Lösungen gesprochen.

Festivalplakate ohne männliche Acts würden ganz schön leer aussehen: Bei Rock am Ring blieben von 63 Acts nur noch 10 weibliche übrig, beim Juicy Beats sind es 24%, beim Hype 31% und auf den Musik-Hauptbühnen bei Bochum Total 35% Frauenanteil. Es beginnt die immer wiederkehrende Diskussion um Quoten, Hörgewohnheiten und fehlende bekannte Musikerinnen. Doch sollten sich 2022 nicht endlich die Testosteron-geladene Line-ups verabschieden?

Neben JUJU wird es schwierig die Hip Hop-Stage weiblich zu besetze: Juicy Beats Gründer und Booker Carsten Helmich im Interview

Für die Line-ups der Festivals sind meist Booker:innen zuständig. Carsten Helmich kümmert sich um das Line-Up des Juicy Beats. Wie geht er beim Booking vor? „Wir überlegen uns beim Buchen, wen wir selbst gut finden und wer gut bei den Besucher:innen ankommt und fragen diese Künstler:innen an. Manchmal werden unsere Wünsche erfüllt und manchmal eben auch nicht.“

Das Line-up setze sich dann aus Zuschauer-anziehenden großen Acts zusammen, aber auch aus Newcomer:innen, die zum Beispiel besonders gut auf Showcase Festivals auffallen. Für große Festivals wie dem Juicy Beats sind jedoch besonders die bekannten Acts überlebenswichtig. Sehr große weibliche Acts gebe es in Deutschland bislang, zumindest in der Sparte Hip-Hop, nur wenige. Große Künstler:innen wie JUJU und Badmómzjay probiere das Juicy Beats dann auch zu buchen. Ansonsten, erzählt Carsten Helmich, gebe es auf seinem Festival seit ein paar Jahren auch einen rein weiblichen Floor. 

Line-Ups im Ruhrgebiet: Der „heiße Scheiß“ wird weiblich

Helmich ist sich jedoch eines sicher: Es wird sich etwas ändern, so dass „der heiße Scheiß“, für den sein Festival steht, zunehmend weiblich wird. Frauen sollen genreübergreifend mehr zu hören und zu sehen sein. Der Prozess sei schon im Gange und wäre durch die Corona-Pandemie verlangsamt worden, aber jetzt ginge es weiter.

Und auch auf seinem eigenen Festival soll sich etwas ändern: „Für das Juicy Beats 2023 bin ich zuversichtlich, dass wirklich mal im Headliner-Bereich weibliche Acts stehen werden und nicht nur die kleinen Acts weiblich sind. Ob das jetzt 50/50 oder irgendwann auch mal 70/30 Frauen sind, das kann mir doch total egal sein.“ Von einer Frauenquote hält Helmich also nichts. Denn es ergebe ihm nach wenig Sinn kleine Künstlerinnen per Quote auf die Hauptbühne zu stellen. Lieber die auf die Bühne stellen, die sich schon bewiesen haben.

 Initiative Keychange: „Wir bringen unterrepräsentierte Geschlechter auf die Hauptbühne“

Ganz anders sieht das die Initiative Keychange. In großen Lettern steht auf ihrer Website: „Wir bringen unterrepräsentierte Geschlechter auf die Hauptbühne“. Sie sind für eine Frauenquote. Lea Karwoth erzählt als Projektleiterin der Keychange Initiative ebenso von den strukturellen Problemen: „Die männlichen Netzwerke sind ein großes Problem für Frauen in der Musikbranche, denn durch sie werden Deals von Männern, für Männer und unter Männern gemacht.“ Um genau diese Strukturen aufzubrechen hat Keychange Talentförderungsprogramme für Musiker:innen und andere Personen der Branche, die sonst unterrepräsentiert werden. Außerdem arbeiten sie ein sogenanntes „Keychange Pledge“ aus.

Dieses Versprechen soll Veranstalter:innen dazu bringen sich eine Geschlechterverteilung von 50/50 vorzunehmen. Aus diesem Versprechen wurde dann schnell eine ganze Bewegung. Karwoth erzählt, dass sich weltweit über 550 Festivals, Organisationen, Labels, Radiostationen oder Orchester angeschlossen haben und zusammen mit Keychange Ziele formuliert haben, wie sie auf Geschlechtervielfalt hinarbeiten. Aus Deutschland sind als leitendes Festival das Reeperbahnfestival und unter anderem auch das Melt dabei.

Aus den frauenleeren Line-Ups der Festivals gehe aber noch mehr hervor. Bevor diese Strukturen nicht mit viel Zeit und Arbeit durchbrochen würden, bleiben nur Männer als Musiker:innen repräsentiert, sagt Lea Karwoth. Getreu dem Motto „if you can see it, you can be it” unterstreicht sie, dass es Vorbilder brauche. Weibliche Frontfrauen gebe es vielleicht hier und da, aber die Zuschauer:innen müssen auch eine Frau am Bass oder Schlagzeug sehen, um sich zu überlegen, dass auch das eine Option für sich wäre.

 Die Frauenquote als Handwerk für eine gerechte Geschlechterverteilung

Bis dieser Prozess, den sich sowohl Carsten Helmich als Booker, Lea Karwoth und wohl alle Musikerinnen, Produzentinnen und DJs wünschen, nicht auf natürliche Weise anläuft, fordert Keychange weiter die Frauenquote. Denn diese, so Karwoth, sei nicht nur die reine Quote, sondern ziehe viele Prozesse nach sich. Sie sorgt nachweislich für Awareness auf allen Seiten, sie sensibilisiert und bringt Jahr für Jahr das Thema Geschlechterverteilung auf die Festival-Agenda.

Letztlich sei die Quote aber auch für die Musikkonsument:innen wichtig, denn sie sind es, dessen Hörgewohnheiten geprägt werden. Wenn auf den Festivals mehr Frauen spielen, haben wir mehr Frauen in unseren Playlists und entsprechend besuchen wir deren Konzerte. Das Line-up hat so also einen langfristigen Effekt auf die Hörer:innen.

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